Boston
Filmbewertung: überzeugend
Starttermin: 23.02.2017
Regisseur: Peter Berg
Schauspieler: Mark Wahlberg, Michelle Monaghan, John Goodman
Entstehungszeitraum: 2016
Land: USA
Freigabealter: 12
Verleih: Studiocanal
Laufzeit: 133 Min.
Balanceakt zwischen Terror-Doku und Action-Thriller
Wieviel Zeit sollte vergehen, bevor ein Film nach einer wahren Begebenheit, zumal einer blutigen mit drei Toten und mehr als 260 Verletzten, auf die große Kinoleinwand kommt? Oliver Stones "World Trade Center" beispielsweise arbeitete fünf Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 das Geschehene in einem Drama auf. Peter Bergs "Boston" ist bereits vier Jahre nach dem Attentat auf den Marathonlauf in der Hauptstadt des US-Bundesstaates Massachusetts in den Kinos zu sehen - als fiktiver Thriller.

Über dieses Timing entbrannte gerade in der Stadt des Anschlags eine hitzige Diskussion. Für einige, vor allem unmittelbar Betroffene, käme ein kommerzieller Film zu früh, hieß es. Sogar Professoren der renommierten Universitäten Harvard und MIT kritisierten einen vermeintlichen Wettlauf gegen die Zeit, um das Thema als Erster auf die Leinwand zu bringen. Peter Bergs "Boston" bewegt sich sodenn im Dilemma zwischen einer dokumentarischen Rücksichtnahme und einem Thriller, der letztendlich auch fesseln soll.

Gleich zu Beginn wehen die Stars and Stripes. Für einen Film, der ein weiteres amerikanisches Trauma eines Terrorangriffs aufarbeiten will, verheißt das zunächst nichts Gutes. Zumal der Streifen im englischen Original auch noch "Patriot's Day" heißt. Die mögliche Glorifizierung eines in pathetischen Bildern gezeigten US-Rachefeldzuges für die Gerechtigkeit mag der Zuschauer hierzulande nun vorschnell befürchten. Tatsächlich aber bezieht sich der Originaltitel lediglich auf die Bezeichnung eines staatlichen Feiertages, der vor allem im US-Bundesstaat Massachusetts gerne und mit viel Pomp unter amerikanischen Bannern begangen wird. Er ist auf den dritten Montag im April festgelegt. Sportlicher Höhepunkt in Boston ist der alljährlich stattfindende Marathon. So war es auch an jenem 15. April 2013.

Zwei Bomben, versteckt in Rucksäcken und abgelegt zwischen den Beinen vieler ausgelassener Zuschauer am Rande der Strecke in der Boylston Street, detonierten mit einem Abstand von nur 13 Sekunden. Die Szenen um diese Explosionen, ausgelöst von den Brüdern Dschochar und Tamerlan Zarnajew, sind es auch, in denen "Boston", immerhin gedreht an Originalschauplätzen, seine Würde behält und eben nicht in ein plakatives Katastrophenszenario biegt.

Klar, es sind blutige Bilder zu sehen. Das muss auch sein, bei drei Toten und mehr als 260 zum Teil Schwerstverletzten. Zwischen verzweifelten Schreien und in einer allgemeinen Panik irrt der ebenfalls verletzte Tommy Saunders (Mark Wahlberg) umher. Schnelle Schnitte begleiten den Polizeisergeant, der versucht, so etwas wie eine Übersicht in verwirrendem Chaos zu erhalten. Regisseur Berg wechselt zudem immer wieder die Perspektiven. Saunders' rastloser Versuch, weiteren Opfern zu helfen, wird immer wieder unterbrochen durch wackelige, teils unscharfe Originalaufnahmen unter anderem aus Helikoptern und Überwachungskameras.

Die schlimmen Minuten direkt nach dem Attentat behalten so mehr die Form einer Dokumentation. Berg bleibt wohltuend nüchtern, er hält sich mit drastischen Bildern und überzogener Action zurück. Der Schrecken allein entfaltet Wirkung genug. Der Regisseur hätte diesen klugen Dreh zur Aufarbeitung eines sehr sensiblen Themas durchaus länger halten können.

Problematisch in "Boston" jedoch wird es bei der Verfolgung der beiden Attentäter. Die Bilder einer Geisterstadt, in der tagelang nur Truppen und Sondereinheiten der Polizei patrouillierten, gingen damals um die Welt. Im Zuge der Ermittlungen und Identifikation der Zarnajew-Brüder, die sich unter der Leitung von FBI-Special-Agent Richard DesLauriers (Kevin Bacon) in die Länge ziehen, muss Berg irgendwann die Geduld verloren haben. Für einen Thriller wollte er es dann doch noch einmal krachen lassen.

Einen Schusswechsel in dem Vorort Watertown, bei dem Tamerlan tödlich verletzt wurde, inszenierte Berg als wilde Ballerei mit fliegenden Rohrbomben und gewagten Explosionen. Dass der Film doch noch zum Actionkracher wird, überrascht nach zunächst ruhigerem Erzählton. Der Regisseur gibt an, dass er keine reine Doku drehen wollte. Und immerhin sollte sein Film auch mitreißen - diejenigen Zuschauer, die von dem Terror eben nicht direkt betroffen waren. Mit der Action zum Finale macht der Film ihnen ein Zugeständnis, wie zuvor den Menschen in Boston mit einer distanzierten Herangehensweise.

Von Andreas Schöttl

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