Einsamkeit und Sex und Mitleid
Filmbewertung: enttäuschend
Starttermin: 04.05.2017
Regisseur: Lars Montag
Schauspieler: Jan Henrik Stahlberg, Friederike Kempter, Bernhard Schütz
Entstehungszeitraum: 2017
Land: D
Freigabealter: 12 (beantragt)
Verleih: X-Verleih
Laufzeit: 119 Min.
Bedingt liebesbereit
Es ist zum aus der Haut fahren in Deutschland 2017. Da klaut einer einem schlafenden Polizisten die Schuhe im ICE. Da muss Jesus mit ansehen, wie sein Lieblingsjünger ein Mädchen untenrum anfasst. Da muss dasselbe Mädchen überlegen, ob es sich für 100 Euro von einem "Arab" lecken lässt. Da wird gefickt ohne Liebe. Da wird geliebt ohne zu ficken. Am schlimmsten aber ist: Es gibt im Supermarkt keine Wurstabschnitte mehr. Zum aus der Haut fahren! Was sonst noch alles schiefläuft in Deutschland, zeigt der "Tatort"- und Vorabendserien-erprobte Regisseur Lars Montag in seinem provokanten Kinodebüt: "Einsamkeit und Sex und Mitleid".

Die freie Interpretation des gleichnamigen Romans von Helmut Krausser aus dem Jahr 2009 will ein Bericht zur emotionalen Lage der Nation sein. Statt Einigkeit und Recht und Freiheit also "Einsamkeit und Sex und Mitleid". Es hat sich etwas verschoben im Land der Dichter und Denker. So suggeriert es jedenfalls der schwer nach Nationalhymne klingende Titel. Und irgendwas läuft dabei gehörig schief. Über das fromme Hoffen, dass man zusammen weniger allein ist, könnten die Figuren hier nur lachen. Wenn sie nicht allesamt traurige Gestalten wären.

Da ist etwa der Polizist (Jan Henrik Stahlberg), der nichts gegen Fremde hat, solange sie nicht in Deutschland sind. Ein echter Mann, der seine Kollegin (Friederike Kempter) mit Furchtlosigkeit beeindrucken - und ins Bett kriegen - will. Oder der Bienenzüchter (Rainer Bock), der trotz Sterilisation zweifacher Vater ist. Oder seine Tochter (Lilly Wiedemann), die ihren Lateinlehrer (Bernhard Schütz) mit einer falschen Anschuldigung auf das berufliche Abstellgleis schob. Oder der Supermarktchef, der als "Brandbeschleuniger XL" im Internet nach Möglichkeiten sucht, seine Spritze zum Einsatz zu bringen. Oder seine frisch von ihm getrennte Frau, die einem Callboy sehr genaue Anweisungen gibt, wie sie befriedigt werden will.

Es werden immer mehr Figuren, die ins Spiel kommen, am Ende werden die Geschichten von 13 Männern, Frauen und Teenagern erzählt, die in "Short Cuts"-Manier miteinander verwoben sind. Es sind Nachbarn, Freunde, Lehrer, Bekannte, die sich wahlweise das Leben zur Hölle oder den Hof machen. Manchmal auch beides.

Regisseur Lars Montag variiert seinen Fokus in den drei Akten des Films. Einsamkeit und Sex und Mitleid stehen jeweils einzeln im Mittelpunkt, wiewohl sie kaum zu trennen sind. Aber das ist ganz kommod, weil sich der Effekt des Vorführens dadurch steigern lässt, weil sich mehr grelle Provokationen in den Szenen unterbringen lassen. Montag will überspitzen und provozieren, bitterböse sein und ein Satiriker. Er schießt dabei aber über das Ziel hinaus, obwohl ihm ein bestens aufgelegtes und in allen Belangen offenes Darstellerensemble zur Verfügung stand.

Der Film soll knallen, und das tut er in gewisser Weise auch. Mit lauten Bildern und satirischem Getöse. Nur bleibt trotz allen Stilwillens lediglich eine plakative Leere. Die gesellschaftliche Relevanz, die sich der Film auf die Fahne geschrieben hat, erschöpft sich in Phrasen und Voyeurismus. Hinter wirklich jeder Fassade tun sich immer tiefere und absonderlichere Abgründe auf, die voll sind mit Frust und Ekel, mit Fremdenhass und Stadthaushölle.

Das hat man schnell begriffen. Nur scheint der Film seinem Publikum nicht über den Weg zu trauen: Man könnte fast beleidigt sein, so oft wie die immer gleichen Motive wiederholt werden. Zumal aus dem Off altkluge Kinderstimmen kommentieren, was man sieht, und sie gleichzeitig vorgeben, was man darüber denken soll. Und dann müssen all die Einsamen, die Verlassenen, die innerlich und äußerlich Toten, die Luschen, die Sexmonster, die Verbitterten und Ungefickten am Ende den Peter-Maffay-Hit "Du" neu interpretieren, wobei sie aus dem "Du" einfach ein "Ich" machen. Sie hätten das Publikum auch einfach mit Zaunfeldern verprügeln können.

Von Andreas Fischer

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