Wir töten Stella
Filmbewertung: ausgezeichnet
Starttermin: 18.01.2018
Regisseur: Julian Pölsler
Schauspieler: Martina Gedeck, Matthias Brandt, Mala Emde
Entstehungszeitraum: 2017
Land: A
Freigabealter: k.A.
Verleih: Picture Tree
Laufzeit: 90 Min.
Alle schweigen, die Fassade hält
Was immer war, liegt endlich offen: Die MeToo-Debatte brach die Tabus verkrusteter patriarchaler Verhältnisse endlich auf. Was nun dem Mainstream und gar konventionellen Herren klar wird, wussten nicht nur Feministinnen schon immer, sondern auch die betroffenen Frauen. Eine, die bereits in den konservativen 50er-Jahren die weibliche Rolle in der Männergesellschaft thematisierte, war die Wiener Schriftstellerin Marlen Haushofer. Erst mit der Frauenbewegung wurden ihre Werke wiederentdeckt, allen voran das meisterliche Drama "Die Wand", das 2012 von Julian Pölsler verfilmt wurde. Nun adaptiert der Regisseur mit Haushofers Roman "Wir töten Stella" auch die Vorgeschichte dazu: Mit einer schmerzvoll grandiosen Martina Gedeck in der Hauptrolle erzählt das leise Stück voller Schrecken von den Folgen eines Schweigens ohne Aufschrei.

Wäre es ein US-Drama, würde man von einem Prequel sprechen: Die 1970 verstorbene Autorin Marlen Haushofer schrieb "Wir töten Stella" vor ihrem Meisterwerk "Die Wand", dessen Verfilmung vor fünf Jahren Aufsehen erregte - galt das metaphernreiche Kammerstück über die Leiden einer einsamen Frau im Wald doch lange als unverfilmbar. Dem österreichischen Regisseur Julian Pölsler gelang es dennoch - nicht zuletzt dank Hauptdarstellerin Martina Gedeck, die das Schweigen jener von Verzweiflung zerfressenen Figur brillant verkörperte. In "Wir töten Stella", das erst durch Pölslers Verweise auf "Die Wand" den Prequel-Charakter erhält, kommt das kongeniale Duo nun wieder zusammen.

Wie in "Die Wand" steht die Frau im Mittelpunkt, die ihre Erlebnisse und Gedanken im Rückblick zu Papier bringt. Einst namenlos, wird Gedecks Figur nun weniger anonym: Anna heißt sie. Nach wie vor sagt sie fast nichts, blickt regungslos aus dem Fenster, während sie ihre Erinnerungen an die Zeit mit Stella aufschreibt. Gedecks sonore Stimme erzählt aus dem Off. War der mit leichten Mystery-Elementen versehene Vorgänger noch von Handlungsarmut und stillen Naturbildern geprägt, versetzt "Wir töten Stella" den Zuschauer in eine familiäre soziale Situation - in der jener beibehaltene kühle Blick und die unerträgliche Empathielosigkeit der Figuren noch viel verstörender wirken.

Beinahe wie eine teilnahmslose Beobachterin seziert Anna analytisch die Geschehnisse, die letztlich zum Tod der titelgebenden Stella führten. Stella, jugendlich und zerbrechlich von Mala Emde verkörpert, ist 19 und soll zehn Monate ihres Studiums in der Großstadt verbringen. Sie kommt unter bei Anna und ihrer gutbürgerlichen Familie, die eher einer Art sozialer Folteranstalt in der Besserverdienendenhölle gleicht. Nur konsequent, dass ihr technokratischer Ehemann (Matthias Brandt) eine gar nicht mal so heimliche Affäre mit Stella beginnt, die von Anna abermals distanziert beobachtet wird.

Die Fassade der bürgerlichen Familie, sie ist wichtiger als das Wohlbefinden ihrer Mitglieder. Auch Stella, die mit ihren Reizen spielt, sich aber nur halbfreiwillig auf Richard einlässt, wehrt sich nicht - die Ambivalenz zwischen Machtmissbrauch, eigenem Begehren und Apathie wird hier am deutlichsten offenbar. Bis zum bitteren, tödlichen Ende.

Dass sich die Frauen nicht miteinander aussprechen, angesichts des übermächtigen Patriarchen keine Solidarität wagen; dass Schweigen, Verdrängung und Verzweiflung, am Ende auch Selbstverletzung die einzige Lösung scheinen, ist die große - und durchaus realitätsnahe - Tragödie des bedrückenden Dramas. Pölsler versetzt die Handlung der Romanvorlage aus den biederen 50er-Jahren in die Gegenwart - eine kluge Entscheidung, kann doch so nicht der Verweis auf die schlimmere Vergangenheit als Erklärung für lebenszerstörende gesellschaftliche Normen herhalten.

Dass wir alle, auch heute, in einer schweigenden Umgebung voller Machtverhältnisse zugerichtet würden, zeigt "Wir töten Stella" eindrücklich. Und auch, dass man dagegen aufschreien muss.

Von Maximilian Haase

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