"Waves"
Filmbewertung: überzeugend
Starttermin: 19.03.2020
Regisseur: Trey Edward Shults
Schauspieler: Taylor Russell, Kelvin Harrison Jr., Alexa Demie
Entstehungszeitraum: 2019
Land: USA
Freigabealter: 12
Verleih: Universal Pictures
Laufzeit: 137 Min.
Schuld und Sühne
Was finden Regisseure nur so großartig an langen Filmen? Zwei Stunden und 15 Minuten dauert "Waves" von Trey Edward Shults, einem 31-jährigen Texaner, der vor zwei Jahren mit dem Survival-Drama "It Comes At Night" auf sich aufmerksam machte. "Waves" ist sein dritter Kinofilm, mit Abstand der längste, aber tatsächlich auch sein bester. Nur: Er hätte noch viel besser werden können. Shults wollte den ganz großen Wurf, in epische Dimensionen vordringen, es geht um Schuld, um Verzeihen, um das Weiterleben nach und mit einem fürchterlichen Ereignis. Eigentlich sind es ja zwei Filme, die Katastrophe trennt die beiden wie ein Scharnier.

Shults sagte, er hätten den ersten Teil wie eine Panikattacke aussehen lassen wollen und den zweiten wie eine Umarmung. Das ist gut gesagt, nur leider löst er sein Versprechen nur zur Hälfte ein. In den ersten 70 Minuten passiert wahnsinnig viel, auch filmisch lässt Shults es hier ordentlich krachen, und tatsächlich überträgt sich die Enge, in die sich die Hauptfigur getrieben fühlt, körperlich auch auf den Zuschauer. Doch dafür ist von einer Umarmung im zweiten Teil herzlich wenig zu spüren, Gefühle bleiben pure Behauptung, wirken ausgewalzt, eben, wie der ganze Film, viel zu sehr in die Länge gezogen.

Aber der Reihe nach. Gleich die ersten Bilder umreißen die Welt und die Konflikte, um die es in dem gesamten Film gehen wird. Wohlhabende Schwarze in einem Schöner-Wohnen-Haus am Rande einer ungenannten Stadt in Florida. Tyler (Kelvin Harrison Jr.) geht nach der Schule zum Ringen, darf sich Hoffnungen auf ein Sport-Stipendium machen, sein Vater (Sterling K. Brown) handelt mit Immobilien, seine Stiefmutter (Renée Elise Goldsberry) ist Hausfrau, und dann gibt es noch Emily (Taylor Russell), seine jüngere Schwester, etwas schüchtern vielleicht, aber sonst offenbar problemfrei. Easy living also? Leider nicht, denn der Vater übt großen Druck auf seinen Sohn aus, treibt ihn unentwegt zum Training, lässt ihn abends für sich arbeiten - und dann passiert es. Tyler verletzt sich irreparabel, Wut staut sich in ihm auf, er streitet sich mit seiner Freundin (Alexa Demie), schlägt schließlich seinen Vater nieder. Der Druck entweicht.

Das Ghetto ist nie weit

Das alles zeigt Shults, der Regisseur, ganz hervorragend. Wie hier eine schwarze Mittelklassefamilie unter ihren eigenen Erwartungen zusammenbricht, das spiegelt auch das historisch hochbelastete Verhältnis von Schwarzen und Weißen in den USA: "Wir können uns nicht den Luxus erlauben, durchschnittlich zu sein", sagt der Vater einmal zu seinem Sohn. Wer es so weit nach oben geschafft hat wie sie, der muss sich doppelt anstrengen, dort auch zu bleiben. Merksatz für den Zuschauer: Im Bewusstsein von Schwarzen ist das Ghetto nie weit.

In dieser ersten Hälfte des Films schöpft Shults gefühlt alle Mittel aus, die dem Medium Film überhaupt zur Verfügung stehen: Die Kamera treibt die Bilder in schwindelerregenden Sequenzen voran, dreht sich oft im Kreis, ein bisschen wie in dem Schocker "Irreversible", und manchmal sind auf der Leinwand nur wilde Farborgien zu sehen, besonders wenn Trent Reznor (Nine Inch Nails) und Atticus Ross ihren Soundtrack in ekstatische Höhen treiben. "The Social Network" vor zehn Jahren war auch deswegen so gut, weil die beiden Musiker die intelligenten, vor Wortwitz sprühenden Dialoge mit einem sehr modernen Elektro-Soundtrack ideal begleiteten. Das gleiche Kunststück gelingt ihnen auch hier wieder.

Aber eben auch nur in der ersten Hälfte. Nach dem emotionalen Höhepunkt des Films fällt die Spannung schlagartig ab und wird nie wieder aufgebaut. Die Bilder sind jetzt flach, betulich, es dominieren lange Einstellungen von Gesichtern, in denen sich nicht viel bewegt, oder wenn, dann drücken die Schauspieler die immer gleichen drei, vier Gefühle mit der immer gleichen Mimik aus. Der Film kommt zum Stillstand, die Umarmung, mit der Shults die Zuschauer nach dem wilden Ritt beschenken will, bleibt schal, löst nichts aus im Betrachter. Eine starke Szene gibt es noch (um eine andere, wiederaufgebaute Vater-Sohn-Beziehung), der Rest ist sanftes Dahinplätschern und ein lasch ausgespieltes Ende.

Von Christian Gehl

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