Filmbewertung: | Meisterwerk |
Starttermin: | 16.07.2020 |
Regisseur: | Burhan Qurbani |
Schauspieler: | Welket Bungué, Jella Haase, Albrecht Schuch |
Entstehungszeitraum: | 2019 |
Land: | D |
Freigabealter: | 12 |
Verleih: | Entertainment One Germany |
Laufzeit: | 183 Min. |
Dem Druck, einen sprachgewaltigen Klassiker der deutschen Literatur neu zu verfilmen, der zudem von Rainer Werner Fassbinder kongenial fürs Fernsehen adaptiert wurde, hält Qurbani mit Selbst- und Stilbewusstsein stand. Er schenkt dem Kino drei Stunden voller Reize, drei Stunden, an denen man sich reiben kann, wie sich der von Albrecht Schuch grandios gespielte Kleinkriminelle Reinhold am stolzen Francis reibt, in der Hoffnung, er könne von dessen Kraft und Stärke profitieren. Die toxische Verbindung der beiden ungleichen Männer ist der emotionale Kern des Films, der zwar ein Berlin-Film ist, aber in dem Berlin nur exemplarisch für die Gesellschaft steht. Die Stadt ist genauso austauschbar, wie es die Menschen in ihr sind.
Francis trägt eine schwere Last mit sich. Er hat Schuld auf sich geladen und seine Würde verloren. Nun hofft er darauf, ein guter Mensch werden zu können. Das ist er seiner Freundin, die im Meer blieb, und Gott schuldig. Doch das Leben, das er "halb tot und halb lebendig" neu beginnt, hat anderes mit ihm vor, verkündet eine Frauenstimme aus dem Off unheilvoll: Mieze (Jella Haase), eine selbstbestimmte und selbstbewusste Sexarbeiterin, kommentiert Francis' Schicksal zunächst aus der Distanz, bevor sie später aktiver Teil seines Lebens wird und ihm für einen kurzen Moment Liebe und Hoffnung schenkt.
Teuflischer Pakt
Zunächst einmal verschlägt es Francis auf eine Berliner Großbaustelle. Doch ohne Papiere und Arbeitserlaubnis ist rechtschaffene Arbeit nicht lange möglich; der Willkür seines Vorarbeiters ausgesetzt, prügelt sich Francis direkt in die Arme des seelisch und körperlich verkümmerten Reinhold, der ihm einen teuflischen Pakt anbietet und ihn in der Kreuzberger Hasenheide zum Drogendealer macht.
Francis kann kein guter Mensch sein, wenn ihn das Leben nicht lässt. Er müht sich redlich, er rackert sich ab, er will es schaffen. Und doch ist er zum Scheitern verdammt. Warum? Weil er sich selbst überlassen ist. Wie einst Franz lebt auch Francis am Rande der Gesellschaft, weitab von all seinen Träumen, von Sicherheit, einem guten Einkommen, der Anerkennung als Mensch. Auch für ihn geht es ums Überleben in einer feindlich gesinnten Welt, die ihn vergessen hat.
Die Geschichte ist die gleiche, nur der Kontext hat sich 100 Jahre später geändert. Burhan Qurbani interpretiert den Klassiker von Alfred Döblin neu und sehr zeitgemäß. Erschreckend zeitgemäß. Als der Film auf der Berlinale gezeigt (und gefeiert) wurde, stand Deutschland unter dem Schock der Anschläge von Hanau. Wenn der Film jetzt mit langer Verzögerung durch das Coronavirus ins Kino kommt, steht die ganze Welt unter dem Schock wiederholter rassistischer Übergriffe durch US-Polizisten.
Ein Film wie eine Oper
Wie die "Black Lives Matter"-Bewegung erhebt auch Burhan Qurbani seine Stimme gegen den alltäglichen Rassismus, den man zwar wahrnimmt, aber nicht wahrhaben will. Bei einer Kostümparty der Berliner Boheme findet es Reinhold witzig, Francis in ein Gorillakostüm zu stecken und sich selbst als Kolonialherren zu inszenieren. Diese Szene bringt auf den Punkt, was Rassismus ist und wo er wuchert. Die Mitte der Gesellschaft macht Ressentiments und Vorurteile gegenüber Geflüchteten salonfähig.
Qurbanis Eltern sind vor 40 Jahren selbst geflüchtet, haben Afghanistan verlassen, um sich ein neues Leben aufzubauen, vor allem eines in Sicherheit. Der Regisseur weiß, wovon er spricht, wenn er den Menschen eine Stimme gibt, denen man nicht zuhört, weil man sie übersieht - ohne Sentimentalität, und auch nicht als sozialrealistisches Drama. Er erzählt seine Geschichte über das Leben, die Liebe, das Leiden, ungestüm, wild und exzessiv.
"Berlin Alexanderplatz" ist wuchtig und draufgängerisch, ein Film wie eine Oper, der sich in seinen fünf Akten nicht scheut, mit Inbrunst und Pathos Arien zu schmettern. Das ist fesselnd und entwickelt einen Sog, man kommt nicht umhin, am Schicksal derer teilzuhaben, die gemeinhin nicht wahrgenommen werden und die wie Francis keine Chance bekommen. Dass der Schluss eine gewagte Utopie ist und viel versöhnlicher als bei Döblin oder Fassbinder, das kann man durchaus als Appell verstehen.
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