Berlinale: Experimentalfilm "Touch Me Not" gewinnt Goldenen Bären
Größer hätte die Überraschung nicht sein können: Die Wettbewerbs-Jury der Berlinale 2018 unter Vorsitz des deutschen Regisseurs Tom Tykwer vergab den Hauptpreis des Festivals an den rumänischen Film "Touch Me Not". Das Kinodebüt der Filmemacherin Adina Pintilie (38) ist ein Experiment in zweierlei Hinsicht: in der cineastischen Form und in der Erkundung der Sexualität. Mit der Entscheidung mag niemand gerechnet haben, der eigentliche Schock des Abends aber ist, dass die vier deutschen Wettbewerbsbeiträge leer ausgingen.

Dabei waren die deutschen Filme so stark wie seit Jahren nicht mehr. Christian Petzold spannte mit seinem gewagten und originell umgesetzten Flüchtlingsdrama "Transit" den Bogen von der Nazizeit ins Jetzt. "3 Tage in Quiberon" zollt der großen Romy Schneider sehenswert Respekt. Der kontrovers diskutierte "Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot" ist eine dreistündige Tour de Force über ein Zwillingspärchen kurz vorm Abitur, das an einem Sommerwochenende philosophische Theorie in mörderischer Praxis überprüft. Und schließlich "In den Gängen": eine zauberhafte, zärtliche, wahrhaftige Außenseiterliebe auf Gabelstaplern in einem Großmarkt.

Sie alle gingen leer aus, der hoch gehandelte Shootingstar Franz Rogowski, immerhin mit zwei Hauptrollen ("Transit" und "In den Gängen") bekam keinen Darstellerpreis, Thomas Stuber und Clemens Meyer keinen Silbernen Bären für ihr Drehbuch zu "In den Gängen". Und Christian Petzolds ungewöhnlicher Inszenierungskniff, mit dem er eine Flüchtlingsgeschichte aus dem Dritten Reich ins heutige Marseille verlegte, wurde ebenfalls nicht honoriert.

Dabei wurde den Filmen große Chancen eingeräumt. Ob sie Tom Tykwer nicht "wild und sperrig" genug waren - das hatte er sich nämlich im Vorfeld der Berlinale ausdrücklich gewünscht - kann nur der Jury-Präsident selbst beantworten. Es bleibt ein bisschen Verwunderung und ja Bedauern, dass die deutschen Filme bei der Preisvergabe überhaupt keine Rolle spielten. Wobei Verwunderung und Bedauern mitnichten auf Kosten der Gewinnerfilme gehen.

Im Gegenteil, die Entscheidung, einem Experimentalfilm wie "Touch Me Not" den Goldenen Bären zu verleihen, mag ziemlich radikal erscheinen, ist aber eigentlich logisch. Die Berlinale versteht sich ja als politisches Festival, und ein politischeres Thema in der Filmwelt als Sexualität gibt es derzeit nicht. So hat der Preis für den semi-dokumentarischen Forschungsfilm über Intimität, sexuelle Identität und Spielarten der Lust durchaus Symbolcharakter.

Der Silberne Bär "Großer Preis der Jury", sozusagen der zweite Platz, ging an den famosen polnischen Film "Twarz" ("Gesicht"), der sich mit lakonischem Humor über die Bigotterie der katholischen Kirche lustig macht und ein sehr genaues Porträt der Verwerfungen in der polnischen Gesellschaft ist. Ein uneingeschränkt empfehlenswerter Film.

Die silbernen Darsteller-Bären gewannen 2018 der junge Franzose Anthony Bajon für seine Darstellung eines Drogenabhängigen im Film "La prière" ("Das Gebet") und Ana Brun aus Paraguay für ihre Rolle in "Las herederas" ("Die Erbinnen"), einem intimen Porträt eines alternden Frauenpaars. Der Film gewann auch den Alfred-Bauer-Preis für "neue Perspektiven der Filmkunst".

Den Silbernen Bären für die beste Regie nimmt Berlinale-Darling Wes Anderson für seinen Eröffnungsfilm "Isle of Dogs - Ataris Reise" mit nach Hause. Das beste Drehbuch schrieben nach Jury-Meinung die Mexikaner Manuel Alcalá und Alonso Ruizpalacios für die Gangsterfarce "Museo" ("Museum"). Den Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung in den technischen Kategorien bekam Elena Okopnaya für Kostüm und Production Design im russischen Film "Dovlatov".

Von Andreas Fischer

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