"Sonic The Hedgehog"
Filmbewertung: überzeugend
Starttermin: 13.02.2020
Regisseur: Jeff Fowler
Schauspieler: James Marsden, Jim Carrey, Neal McDonough
Entstehungszeitraum: 2019
Land: USA
Freigabealter: 6
Verleih: Paramount Pictures Germany
Laufzeit: 99 Min.
Die unheimliche Macht der Fans
Filmgeschichte wird oft in Hollywood geschrieben, manchmal in Europa, manchmal in Asien - und seit vergangenem Jahr auch in den Kommentarspalten von YouTube. Das amerikanische Filmstudio Paramount Pictures, dessen Wurzeln bis ins Jahr 1912 zurückreichen, hatte auf der Videoseite den Trailer zu "Sonic The Hedgehog" hochgeladen, die Vorschau zu einem Film über einen kleinen, flinken Igel, der aus einer fernen Galaxis auf die Erde flüchtet und sich hier einem Superschurken erwehren muss. Eine Computerspielverfilmung, teils aus dem Rechner, teils mit echten Schauspielern, mit Jim Carrey in einer der Hauptrollen. Eine sichere Bank, möchte man meinen. Dann aber meldeten sich die Sonic-Fans zu Wort, bei YouTube und in den anderen sozialen Medien, und ließen an dem Trailer kein gutes Haar. Der Titelheld sehe viel zu menschlich aus, so der Tenor, er wirke, als würde ein Darsteller im plüschigen Jogging-Anzug über das Set marschieren.

Die Kritik war so zahlreich, dass Paramount den Filmstart um drei Monate verschob und Besserung gelobte. Auf Twitter kroch Regisseur Jeff Fowler zu Kreuze: "Danke für die Unterstützung. Und die Kritik. Die Botschaft ist klar und deutlich", schrieb er. "Ihr seid nicht glücklich mit dem Design und wollt Änderungen. Das wird passieren." Angeblich rund fünf Millionen Dollar ließ sich Parmount das neue Design von Sonic anschließend kosten - ein bislang einmaliger Schritt in der Geschichte des Kinos. Aber einer, der sich auszahlen könnte: Der neue Trailer kam bei den Sonic-Fans hervorragend an, einem erfolgreichen Start des geschätzt 95 Millionen Dollar teuren Films am 13. Februar steht nichts mehr im Weg. Bleibt nur die Frage, was es für die Filmkunst bedeutet, wenn nicht mehr die Macher entscheiden, wie ihr Werk aussehen soll, sondern die Zuschauer. Man stelle sich vor, van Gogh habe auf all jene gehört, die einst von seiner Kunst überfordert waren.

Auch wenn der Vorgang um "Sonic The Hedgehog" einmalig ist - dass Filme geändert werden, bevor sie ins Kino kommen, ist keine neue Entwicklung. Billy Wilder etwa musste das bitter erfahren, als er sein Film-Noir-Meisterwerk "Boulevard der Dämmerung" im Jahr 1949 bei einer Testvorführung erstmals einem Kinopublikum zeigte. In der ersten Szene des Films, der von einer Schauspielerin aus der Stummfilmzeit erzählt, die von einer Rückkehr auf die Leinwand träumt, ließ Wilder mehrere Tote in einem Leichenschauhaus von ihrem Schicksal berichten. Das Publikum im Kino in Evanston, Illinois, so erzählte Wilder später, sei bei der Szene in Gelächter ausgebrochen. Geschockt änderte der Regisseur den Anfang seines Films. Nun begann "Boulevard der Dämmerung" so, wie man es heute kennt: In einem Pool vor einer Villa am Sunset Boulevard treibt die Leiche eines Journalisten; in einer langen Rückblende wird erzählt, wie der Mann zu Tode kam.

"Bekehrt vom Kinogehen"

Testvorführungen vor Publikum sind fast so alt wie das Kino selbst. Schon 1928 soll Harold Lloyd, der fünf Jahre zuvor in "Ausgerechnet Wolkenkratzer!" am Zeiger einer riesigen Uhr baumelte, seine Filme vorab gezeigt haben, um die Reaktion des Publikums zu testen. Und noch heute sind Testscreenings ein beliebtes Mittel, um einen Flop an der Kinokasse im Vorfeld ein bisschen unwahrscheinlicher zu machen. Manchmal wird nach einer solchen Vorführung nur der Titel geändert - aus dem 16. James-Bond-Film "Licence Revoked" wurde 1989 etwa "Licence to Kill" ("Lizenz zum Töten") -, manchmal werden kurze Szenen entfernt. Besonders oft geändert wird das Ende eines Films. So hatte Regisseur Danny Boyle für seinen gefeierten Zombie-Horror "28 Days Later" ursprünglich einen Schluss gedreht, in dem die von Cillian Murphy gespielte Hauptfigur Jim stirbt. Weil das dem Testpublikum zu düster war, drehte Boyle eine neue letzte Szene, die offen lässt, ob Jim überlebt.

Nicht erst seit es soziale Medien gibt, aber doch ganz besonders in den Zeiten von Twitter und Co., zeigen die Fans bisweilen ihre hässliche Fratze. Als der erste Trailer zum siebten "Star Wars"-Film "Das Erwachen der Macht" veröffentlicht wurde, musste Hauptdarsteller John Boyega widerliche rassistische Kommentare über sich ergehen lassen. Dass unter dem Helm eines Strumtrupplers auch ein dunkelhäutiger Mann stecken kann, wollten manche Fans der Reihe nicht akzeptieren.

Dass es manchmal besser ist, die Reaktion des Publikums einfach zu ignorieren, musste ebenfalls Billy Wilder feststellen. "Das verlorene Wochenende", einer seiner untypischsten Filme, erzählt die schonungslose Geschichte eines Alkoholikers. Wieder waren die Testvorführungen eine Katastrophe. "Guter Film, nur das Trinken sollte man herausschneiden", schrieb einer der Zuschauer auf das kleine Kärtchen, das er nach der Vorführung ausfüllen sollte. "Nicht bekehrt vom Trinken. Bekehrt vom Kinogehen", ätzte ein anderer, wie sich Wilder später erinnerte. Statt den Film zu ändern, wurde er zunächst zurückgehalten. Als "Das verlorene Wochenende" 1945 schließlich in die Kinos kam, wurde der Film zum Kassenschlager. "Das Publikum war inzwischen auf den Ernst des Films vorbereitet. Bei der Oscar-Preisverleihung bekam der Film vier Oscars", erinnerte sich Wilder, nicht ohne Genugtuung.

Dass es aber auch ganz anders kommen kann, zeigte erst kürzlich der Film "Cats". In der Musical-Adaption wurden Darsteller wie Judie Dench und Taylor Swift am Computer mit Katzenfell überzogen, ihnen wurden virtuelle Schnurrhaare und Katzenohren ins Gesicht geklebt. Ein erster Trailer, der im vergangenen Sommer ins Internet gestellt wurde, wurde dann auch prompt mit Häme überschüttet - "albtraumhaft" seien die Katzenmenschen, ätzte das Netz. Anders als die "Sonic"-Macher reagierte "Cats"-Regisseur Tom Hooper nicht auf die Kritik. Die Quittung: Der Film floppte an den Kinokassen, machte angeblich bis zu 100 Millionen Dollar Verlust. Manchmal ergibt es eben doch Sinn, über den eigenen Schatten zu springen - und auf die Fans zu hören.

Von Sven Hauberg

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