Zwei Wochen dauert es in "Contagion", bis das öffentliche Leben zusammenbricht: Kirchen, Schulen, Flughäfen - Plätze des öffentlichen Lebens sind menschenleer. Apotheken und Supermärkte werden geplündert, Hausbewohner wegen ihrer Vorräte erschossen. Diese erschütternde Verrohung ist die eigentliche Katastrophe in dem Film, den sich vor neun Jahren rund 380.000 Kinozuschauer in Deutschland ansahen. Doch Soderbergh lässt die Gewalt nicht ausarten, sondern liefert auch genügend Beweise, dass der Mensch sogar in Ausnahmezuständen Mitgefühl, Höflichkeit und Hilfsbereitschaft bewahren kann.
Wer heute Filme wie "Contagion" oder andere Seuchen-Klassiker wie "Outbreak" oder "12 Monkeys" schaue, der suche "eine Orientierung und einen Trost zugleich", sagt der renommierte Film- und Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Marcus Stiglegger der Nachrichtenagentur teleschau. "Die Orientierung besteht in der Sehnsucht nach einem Narrativ, einer ordnenden Erzählung, durch die aktuell chaotische und unberechenbare Ereignisse fassbarer erscheinen. So werden Perspektiven und Identifikationen möglich, die einen Trost bergen mögen."
So schlimm wie im Film wird's schon nicht kommen
In "Contagion" sterben viele Millionen Menschen, das Szenario, das Soderbergh und sein Drehbuchautor Scott Z. Burns entwerfen, wirkt trotzdem relativ realistisch. Man glaubt, einen gewissen Einblick davon zu bekommen, wie Institutionen, Wissenschaft, Medien in einem solchen Fall reagieren und funktionieren. Die apokalyptischen Visionen, die "Contagion" jetzt wieder auf die Bildschirme der zu Hause eingesperrten Menschen bringt, könnten auch Hoffnung spenden, glaubt Stiglegger: "Hoffnung, in dieser Fiktion ein Worst-Case-Szenario zu bekommen, das mit der eigenen Realität nicht übereinstimmen kann." So schlimm wie im Film, so der rettende Gedanke, wird's schon nicht kommen.
Irgendwann wird auch die Corona-Krise vorbei sein, das ist sicher. Und dann? Wird uns Hollywood mit neuen Seuchen-Thrillern überschütten - oder will das, wenn alles ausgestanden ist, niemand mehr sehen? "Tatsächlich befruchten sich Realität und Fiktion immer wieder gegenseitig", sagt Stiglegger.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, die für die USA ein ähnlich einschneidendes Ereignis waren wie die Corona-Pandemie, reagierte Hollywood gleich doppelt. Da wurden aus bereits abgedrehten Filme wie "Zoolander" die Zwillingstürme des World Trade Centers herausretuschiert. Daneben aber geschah noch etwas, das so wohl keiner vorhergesehen hatte: In den Jahren nach 9/11, im Zuge der blutigen Kriege in Afghanistan und im Irak und den abscheulichen Bildern, die aus Abu Ghuraib an die Weltöffentlichkeit drangen, wurden Splatter-Streifen wie die der "Saw"-Reihe (ab 2004) und der "Hostel"-Reihe (ab 2005) zu Publikumserfolgen.
Derart blutige Werke waren bis dato filmischer Untergrund, auf einmal aber waren Folterpornos im Mainstream angekommen. Es sei möglich, sagt Stiglegger, der sich in seinem Buch "Terrorkino" mit der Thematik beschäftigt hat, dass "der Folterdiskurs nach 9/11 zu einer fiktionalen Auseinandersetzung mit diesem Thema geführt" hat. In der Corona-Krise würden wir "diese Tendenz, die eigene Realität zu verarbeiten, indem wir sie als fiktionales Schreckensszenario konsumieren", wieder sehen, glaubt er. Gut möglich also, dass schon jetzt jemand in Hollywood an seinem Schreibtisch sitzt und an einem Drehbuch arbeitet für den Seuchen-Blockbuster für die Zeit nach Corona - an einem Film, der weit Schrecklicheres bietet als die aktuelle Gegenwart.
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