"Ein geschlossenes Kino bleibt ein geschlossenes Kino"
Das hat es in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben: Im ganzen Land gelten Ausgangsbeschränkungen, viele Restaurants und die meisten Geschäfte bleiben geschlossen, auch Kultureinrichtungen haben zu. Betroffen sind auch die Kinos. Die Corona-Krise sei für viele kleinere Lichtspielhäuser "existenzgefährdend", sagt Dr. Christian Bräuer. Der 48-Jährige ist nicht nur einer der beiden Geschäftsführer der Berliner Kinogruppe Yorck, die zwölf Arthouse-Kinos in der Hauptstadt betreibt, sondern auch Vorstandsvorsitzender der AG Kino. Der Verband mit Sitz in Berlin vertritt die Interessen von bundesweit mehr als 300 unabhängigen Filmkunst- und Programmkinos. Im Interview spricht Bräuer über die dramatischen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Er ist sich aber auch sicher: "Der Wert des Kinos für einen Film wird in der Krise wieder sichtbar."

teleschau: Herr Bräuer, wie ist die Stimmung bei Ihnen in den Kinos?

Christian Bräuer: Das Ganze fühlt sich noch immer unwirklich an. Langsam wird man aber etwas gefasster. Momentan gibt es unglaublich viel zu arbeiten. Während die einen nichts mehr zu tun haben - etwa die Kassen- und Servicekräfte -, gibt es für die anderen viel zu organisieren. Es müssen Vereinbarungen zur Kurzarbeit getroffen werden, aber auch für die vielen Mitarbeiter, die nicht unter die Regelung zum Kurzarbeitergeld fallen, wie Studenten und Mini-Jobber, müssen wir eine Lösung finden. Wir sind außerdem im Gespräch mit Vertragspartnern, wie etwa Reinigungsunternehmen, die ja auch Leidtragende der Krise sind, weil es einfach nichts mehr zu putzen gibt in den Kinos.

teleschau: Haben Sie das Gefühl, genug Unterstützung von der Politik zu erhalten?

Bräuer: Ich hoffe, dass es zu einer politischen Lösung kommt, die speziell auf die Kinos zugeschnitten ist. Denn unsere Situation ist besonders, auch angesichts der sehr hohen Grundkosten. Arthouse-Kinos werden ja schon im Normalbetrieb unterstützt, etwa mit Programmpreisen. Ein Filmkunstkino funktioniert nicht nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung. Kino macht man aus Leidenschaft. Wir sind an der Schnittstelle von Kultur und Wirtschaft angesiedelt. Liebesbekundungen reichen nicht, wir brauchen auch Liebesbeweise. Es ist nicht genug, wenn jeder nur sagt, wie wichtig Kinos und Theater sind. Wir brauchen Spezialprogramme. Es geht im Zweifelsfall sehr schnell, dass Kinos zahlungsunfähig sind.

teleschau: Was genau erwarten Sie sich?

Bräuer: Der Mittelstandsblick fehlt. Die meisten Kinos haben ja mehr als zehn Mitarbeiter. Die jetzigen Maßnahmen richten sich aber an ganz kleine Unternehmen - oder an ganz große. Also an Unternehmen, die regelmäßig hohe Gewinne machen, jetzt kurzzeitig nicht und dann wieder. Wenn die Kinos drei Monate zu haben, dann reichen die jetzigen Programme nicht aus. Kinos zu betreiben ist personalintensiv, wir haben hohe Mieten. Das ist eine Herausforderung. Sonst wird das für viele Kinos schnell existenzgefährdend. Oder wie unsere Frankfurter Kollegen es auf den Punkt bringen: Wer Banken retten kann, kann auch Kultur retten.

"Die Zeit drängt"

teleschau: Sind Ihnen schon erste Pleiten bekannt?

Bräuer: Nein. Im Moment geht es noch. Alles hängt davon ab, wie lange die Krise dauert. Zumal sich einige Probleme nach hinten verschieben. Etwa, wenn in ein paar Monaten Steuern, Darlehen oder Liquiditätshilfen zurückgezahlt werden müssen. Das wird unseren Markt ganz massiv beeinflussen, es wird Insolvenzen geben. Die Zeit drängt.

teleschau: Schon seit Jahren leidet Deutschland unter einem massiven Kinosterben ...

Bräuer: Die letzten Jahre waren erstaunlich stabil, gerade Arthouse hat sich als analoger Ort auch im digitalen Zeitalter gut behauptet. Zugleich waren und sind Kinos angesichts der Erlösstruktur immer gefährdet. Wo? Das sind klassische Innenstadtlagen. Weil Kinos diese hohen Mieten nicht so leicht zahlen können. Dann ist eben ein Drogeriemarkt rentabler als ein Kino. Manchmal kann man sogar mit Lagerflächen mehr Umsatz machen. Auch Kinos in kleinen Orten sind bedroht. Weil dort die Struktur an sich schwieriger ist, wenn die Leute von überall herkommen müssen. Kinoschließungen sind irreversibel. Hin und wieder eröffnet ein Kino neu, aber generell gilt: Ein geschlossenes Kino bleibt ein geschlossenes Kino. Das sieht man, wenn man durch die Innenstädte läuft. Da, wo einst ein Kino war, befindet sich heute ein H&M - der aktuell vielleicht gar keine Miete zahlt!

teleschau: Spüren Sie in Ihren Kinos die Unterstützung der Stammgäste?

Bräuer: Wir erfahren beeindruckend viel Unterstützung von unserem Publikum. Wir haben noch nie so viele Gutscheine verkauft wie jetzt, nicht mal zu Weihnachten. Das Publikum liebt die Kinos. Jetzt, da die Leute nicht mehr raus dürfen, merken sie, wie ihnen gemeinschaftliche Erlebnisse fehlen. Und dazu zählt das Kino.

teleschau: Wie geht es mit den Kinos nach der Krise weiter?

Bräuer: Ich glaube, die Leute werden sich aufs Kino freuen, sie werden das Kino, so wie andere Orte der Alltagskultur auch, mehr schätzen. Es gab eine Befragung in China, worauf sich die Menschen nach dem Lockdown am meisten freuen. An erster Stelle wurde der Restaurantbesuch mit Freunden genannt, direkt dahinter, mit nur einem Prozentpunkt Abstand, kam das Kino. Das gibt Hoffnung.

"Ich glaube ganz fest ans Kino"

teleschau: Der diesjährige Kinosommer wird dennoch anders aussehen als in den vergangenen Jahren ...

Bräuer: Klar. Wir gehen nicht davon aus, dass nach der Krise alles sofort wieder normal weiterläuft. Was ist, wenn ich nur jeden zweiten oder dritten Sitzplatz verkaufen darf, weil es Abstandsbegrenzungen gibt? Außerdem: Wenn jetzt keine Festivals stattfinden, wenn Filme nicht fertig produziert werden, dann haben wir auch später im Jahr noch massive Probleme. Das Filmfestival von Cannes findet normalerweise im Mai statt, in diesem Jahr entweder später oder vielleicht gar nicht. Die Filme, die dort gezeigt werden, starten üblicherweise im Sommer und sind oft sehr erfolgreich, im letzten Jahr etwa der neue Tarantino-Film. Auch "Parasite" wäre ohne die Goldene Palme in Cannes nicht ein derartiger Erfolg geworden. Uns könnten die Vitrinen fürs Kino fehlen. Ein Restaurant, das jetzt zu hat, hat nach der Schließung die gleiche Speisekarte. Bei uns ist das anders. Erstmal wird sehr viel in die Kinos drängen. Dann werden vermutlich Filme fehlen.

teleschau: Befürchten Sie, dass Streaminganbieter wie Netflix als Gewinner aus der Krise hervorgehen könnten?

Bräuer: Sagen wir so: Streaminganbieter sind auf jeden Fall nicht die Verlierer. Das sorgt uns aber nicht. Wir sind aber achtsam, dass jetzt nicht Unternehmen - ob auf globale Marktmonopolisierung setzende Streamingplattform oder kleiner Subventionsritter -, denen die exklusive Kinoauswertung schon ein Dorn im Auge ist, die jetzige Situation ausnutzen und damit das Geschäftsmodell der Kinos nachhaltig beschädigen.

teleschau: Was hätte das für Auswirkungen?

teleschau: Das wäre nicht nur schlimm für uns, sondern auch für die filmische Vielfalt. Daher bin ich auch optimistisch. Man wird den Wert erkennen, den das Kino nicht nur für die Nachbarschaft hat, sondern auch für den Filmmarkt. Kino veredelt Filme und schafft Aufmerksamkeit. Filme, die ohne Kinoauswertung direkt zu den Streamingplattformen kommen, laufen dort nicht gut. Weil das Angebot völlig unübersichtlich ist und die meisten kleinen Filme gar nicht beworben werden. Der Wert des Kinos für einen Film wird in der Krise wieder sichtbar. Ich glaube ganz fest ans Kino.

Von Sven Hauberg

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