"Afroamerikaner werden im amerikanischen Film schon immer als minderwertig dargestellt"
Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd gehen in den USA seit Wochen Tausende auf die Straße, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren. Dank der Black-Lives-Matter-Bewegung hinterfragt auch Hollywood zunehmend seinen Blick auf schwarze und andere nicht-weiße Figuren. Dr. Lima Sayed, Amerikanistin an der Universität Hamburg, hat intensiv zum Thema geforscht und dazu im vergangenen Jahr das Buch "Weiße Helden im Film" veröffentlicht.

teleschau: Frau Sayed, wie werden Afroamerikaner in Hollywood-Filmen dargestellt?

Lima Sayed: Afroamerikaner und andere Minderheiten werden im amerikanischen Film schon immer als minderwertig dargestellt, seit Beginn der Filmgeschichte. Das waren nie eigenständige Figuren, sondern immer sehr stereotype Sidekicks, die nur eine Aufgabe hatten: Sie sollten die weißen Figuren überhöhen. Nicht-weiße Figuren waren historisch lange Zeit lediglich Antagonisten. Das gilt für alle möglichen Genres: Western, Science-Fiction, Action - die arbeiten alle mit den Gegensatzpaaren von Gut und Böse. Dabei bedient sich der US-Film Strukturen des Propaganda-Films: Erst ist alles harmonisch, dann kommt ein meist ethnisch fremder Angreifer von außen, und schließlich wird der Angreifer überwunden, die Harmonie wiederhergestellt und ein Held geboren.

teleschau: Wie sieht das konkret aus?

Sayed: Im US-Film werden Afroamerikaner und andere Nicht-Weiße oft als unfähige, hilflose oder in irgendeiner Form beschränkte Figuren gezeigt. Als Menschen, die drogenabhängig sind oder verwahrlost, die meist eine Form von Mangel erleben. Diese Figuren bedürfen dann weißer Retter, weil sie nicht in der Lage sind, sich selbst zu helfen. Das sind meist männliche Helden, manchmal aber auch Frauen, wie in "Miss Daisy und ihr Chauffeur" oder "Blind Side - Die große Chance" mit Sandra Bullock. Der weiße Held, der "white savior", erlebt dadurch, dass er dem vermeintlich schwachen Nicht-Weißen hilft, neuen Sinn in seinem Leben. Auch weiße Männlichkeit, die zuvor in einer Krise war, wird so wiederhergestellt. Man kann sagen, dass wir in diesen Filmen vordergründig die Abhängigkeit von nicht-weißen Figuren sehen. Tatsächlich sind es aber weiße Figuren, die der negativen Zeichnung ethnisch Anderer bedürfen, um als Helden in der Geschichte hervorzugehen.

teleschau: Woher kommt dieses Muster?

Sayed: Weiße Helden sind in den USA derart mythisiert, dass sie vermeintlich minderwertige, ethnisch Andere brauchen, um ihren eigenen Heldenstatus aber auch ihre Vorstellung von Recht und Ordnung wiederherzustellen und ihre Daseinsberechtigung auf amerikanischem Boden zu sichern. Dieses Muster zieht sich durch die gesamte amerikanische Filmgeschichte. Die Schwarz-Weiß-Malerei, wie es sie in Filmen wie "Birth of a Nation" gab, existiert heute natürlich nicht mehr. Das heißt aber nicht, dass wir eine post-rassistische Gesellschaft haben. Der Rassismus ist viel subtiler geworden.

teleschau: Wie äußert sich das?

Sayed: Nehmen Sie einen Film wie "Monster's Ball" ...

teleschau: ... in dem Halle Berry die Frau eines zum Tode verurteilten Mannes spielt, die sich in einen rassistischen Gefängniswärter verliebt.

Sayed: Nicht nur in einen rassistischen Gefängniswärter, sondern in den Mann, der ihren Ehemann exekutiert hat. Für weiße Zuschauer ist das ein Film, in dem eine Überwindung von Rassismus stattfindet. Für schwarze Zuschauer hingegen war der Film eine Beleidigung. Denn auf der inhaltlichen Ebene ist diese Geschichte einfach nur abwegig. Diese Art von versöhnlicher Liebesgeschichte ist schlicht absurd. Darüber hinaus: Keine weiße Oscar-Gewinnerin hat jemals so viel Nacktheit zeigen müssen wie Halle Berry. Hollywood suggeriert den Zuschauern, Rassismus sei leicht zu überwinden. Struktureller Rassismus hingegen wird ignoriert. Erst Filmemacherinnen wie Ava DuVernay brechen mit Filmen wie "Der 13." oder der Netflix-Serie "When They See Us" mit dem weißen Blick. Langsam findet eine Vervielfältigung der Perspektiven statt.

"Das Hollywood-Kino tut großen Bevölkerungsgruppen großes Unrecht an"

teleschau: Was ist mit einem Film wie "Green Book"? Der Oscar-Gewinner vom vergangenen Jahr erzählt von einem schwarzen Musiker, der von seinem rassistischen Italoamerikaner durch die US-Südstaaten der 60er-Jahre zu seinen Auftritten gefahren wird.

Sayed: Auch "Green Book" ist ein klassischer White-Savior-Film, auch wenn die von Mahershala Ali gespielte schwarze Figur sehr viel differenzierter ist als andere afroamerikanische Figuren. Vordergründig denkt man auch hier, es findet eine Überwindung von Rassismus statt. Sieht man sich an, wie die Figuren gezeichnet werden und was sie sagen, kommt man zu einem anderen Schluss. Warum wird die italoamerikanische Figur beispielsweise von Viggo Mortensen gespielt? Es gibt eine Schlüsselszene in dem Film: Da will der schwarze Musiker mit seinem Fahrer in der Konzerthalle, in der er seinen letzten Auftritt haben soll, gemeinsam essen. Doch man verweigert ihm den Eintritt, weil er schwarz ist. Und dann fragt der schwarze Weltklassemusiker tatsächlich seinen Fahrer, ob er angesichts dieses Vorfalls wirklich am Abend auftreten soll. Wieso soll der weiße Fahrer dem schwarzen Musikstar sagen, ob er das tun soll oder nicht? Da wird der schwarzen Figur Handlungsmacht abgesprochen.

teleschau: Woher kommt dieser Rassismus?

Sayed: Die USA haben in ihrer Geschichte unermessliche Schuld auf sich geladen, durch den Völkermord an den Native Americans, durch die Sklaverei, durch die systemische Benachteiligung sämtlicher Minderheitenbevölkerungen. Bis heute fand keine angemessene Auseinandersetzung mit der Geschichte statt. Das zeigt sich aktuell sehr deutlich im Abriss von Denkmälern rassistischer Führerfiguren in den USA. Ohne die kritische Verhandlung des historischen Rassismus können rassistische Strukturen ungehindert fortbestehen. Die Schuldfrage wird in der Politik, aber auch im Film kanalisiert und verlagert. Statt sich mit ihr auseinanderzusetzen, wie es die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg getan haben, macht man das Opfer zum Täter. Solange ich mich in der Sicherheit wiegen kann, dass die anderen schuldig sind, weil sie kriminell sind oder drogenabhängig, muss ich mich nicht mit meiner eigenen Schuld auseinandersetzen. In der Diskussion über Polizeigewalt gegenüber Schwarzen ist das nicht anders. Man hat die Tatsache, dass weiße Polizisten vermehrt nicht weiße Menschen töten, lange nicht infrage gestellt, weil man immer von der Schuld der ethnisch Anderen ausgegangen ist. Hollywood mit seinen Filmen unterstützt diese Sichtweise.

teleschau: Dabei gilt Hollywood ja als der liberale Teil der USA ...

Sayed: Für wen macht denn Hollywood seine Filme? Und woher kommen die Menschen, die dort Filme drehen? Die kommen ja nicht nur aus Kalifornien. Rassismus ist etwas, von dem sich keiner freimachen kann.

teleschau: Aktuell sehen wir in den USA eine Gegenbewegung ...

Sayed: Gegen die Art und Weise, wie Hollywood Filme macht, gibt es schon seit Jahrzehnten Widerstände. Es gibt in den USA große Bevölkerungsteile, die sich weigern, bestimmte Filme zu sehen. Weil sie verstanden haben, wie diese Muster funktionieren. Und sie sind es leid, Schwarzsein als minderwertig dargestellt zu sehen. Das ist ein stiller Boykott. Was wir jetzt erleben, ist das Entstehen eines informierten Blicks auf rassistische Strukturen. Menschen, die bislang nur als Projektionsfläche genutzt wurden, werden plötzlich laut. Ihre Stimmen werden gehört. Die Schönheit, die in der afroamerikanischen Kultur liegt, wird gesehen und erreicht gerade auch den Mainstream. Noch aber tut das Hollywood-Kino großen Bevölkerungsgruppen großes Unrecht an.

Von Sven Hauberg

Impressum

Das Kinomodul der teleschau verbindet hochwertige Kritiken, Interviews, News und Trailer mit regionalen Kinodaten.

Die technische und inhaltliche Pflege übernimmt teleschau für Sie. Wir freuen uns über Ihre Kontaktaufnahme:

teleschau - der mediendienst GmbH
Landsberger Straße 336
D-80687 München
Tel.: +49/89/143419-0
marketing@teleschau.de
Web: http://www.teleschau.de
Impressum: Impressum