Wim Wenders
Filmen mit Wagemut
"Paris, Texas", ein Melodram inmitten der kalifornischen Wüste unter unendlichem Horizont, in dem ein Vater - der legendäre Harry Dean Stanton - seine Tochter sucht (Nastassja Kinski) und schließlich in der Kabine einer Peepshow findet: Das war lange Zeit Wim Wenders' schönster Film. Er wurde 1984 in Cannes mit der Goldenen Palme geehrt. Nach Cannes wurde Wenders, der im Ausland wohl angesehenste lebende deutsche Regisseur, immer wieder eingeladen. Zuletzt mit der Dokumentation "Das Salz der Erde", einem Dokumentarfilm über den brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado, der auf seinen Reisen das menschliche Leid porträtierte. Fotografieren sei ein "Schreiben mit Licht", sagte Wenders, der sich auch selbst inzwischen vermehrt der Fotografie gewidmet hat. Am 14. August vollendet der gebürtige Düsseldorfer sein 70. Lebensjahr.

Der 1945 in Düsseldorf geborene Wenders ist stets ein Regisseur geblieben, der seine Filme mit größtmöglicher fotografischer Exaktheit inszenierte, der unter Ungenauigkeiten leidet. "Heute erscheint in der Tat vieles beliebig ins Bild gesetzt. Die Regisseure sind sich ihrer Mittel nicht bewusst oder gehen davon aus, dass es dem Zuschauer egal ist, ob die Bilder gut quadriert sind oder nicht", sagte er in Cannes. Und der Präsident der Europäischen Filmakademie und Hochschul-Regieprofessor fügt hinzu: "Ich finde es schade, dass so nachlässig mit der Bildsprache umgegangen wird. Aber die großen Studios machen es vor. Auch im Einsatz von 3D herrscht Beliebigkeit. Ich sehe das auch an den Studenten: Da fehlt oft das Bewusstsein, dass das Bild eine ganz klare Sprache sein kann. Es geht hin zu einem großen Mahlstrom von Dahingewurschteltem."

Wenders' Filme waren immer Reisefilme. "Die Helden in den Filmen von Wim Wenders sind unstet, im Elend wie in der Fremde", schrieb einst der Kritiker Wolfram Schütte anlässlich des Wenders-Films "Im Lauf der Zeit" von 1976, der den Ruhm des Neuen Deutschen Films wesentlich mitbegründete. Wenders-Filme führten von Wien ins Burgenland ("Die Angst des Tormanns beim Elfmeter"), in die USA ("Alice in den Städten"), von der Nordsee bis zur Zugspitze ("Falsche Bewegung"), sie waren Fluchtbewegungen, die den Reisenden nach Niederlagen doch noch persönliche Erfüllung brachten.

"Im Lauf der Zeit" wurde zu Wenders' erstem Meisterwerk: Ein Reparateur von Kinoprojektoren, ein Arzt am Sterbebett des Kinos gewissermaßen, und einer, der seine Frau verlassen hat und nun an die Elbe fährt, begegnen hier einander und tingeln gemeinsam - auf einer "Reise nach innen" - an der innerdeutschen Grenze entlang. Landschaften, Tageszeiten, die Zeit selbst ziehen den Zuschauer in ihren Sog. Wenders drehte elf Wochen "on the road", suchte die Drehorte spontan, schrieb Dialoge nächtens um. Er filmte schon damals mit viel Wagemut.

Nach der Patricia-Highsmith-Verfimung "Der amerikanischen Freund" von 1977, seiner ersten internationalen Koproduktion, holte ihn Francis Ford Coppola nach Hollywood. Was der Höhepunkt einer Regiekarriere hätte werden sollen, geriet allerdings zum Beinahe-Flop: Nach jahrelanger Vorarbeit und den fast abgeschlossenen Dreharbeiten zum Neo-Noir-Film "Hammett" stieg Coppola aus. Nur mit Mühe gelang es Wenders, seinen eigenen, kleineren Film fertigzustellen. Als er später mit dem in Portugal gedrehten "Der Stand der Dinge" mit Hollywood abrechnete, wurde er dafür in Venedig mit dem Goldenen Löwen belohnt. Im "Himmel über Berlin" schwebten geradezu seherisch Bruno Ganz und Otto Sander als Engel über der geteilten Stadt. Folgerichtig gab es den Regiepreis in Cannes.

Den "größten Grübler unter Deutschlands Regisseuren" nannte man den teils in Los Angeles, teils in Berlin lebenden Regisseur. Wenn man ihn sehr langsam und bedächtig sprechen hörte, mochte man ihn in einer lauten und schnelllebigen Zeit leicht unterschätzen. Dennoch wurde der theologische Ehrendoktor der Sorbonne international zur cineastischen Kultfigur. Vermehrt verlegte er sich auch auf hochwertige Dokumentationen - über den berühmten "Buena Vista Social Club", über Pina Bausch ("Pina") und über Sebastião Salgado. Wenn er erklärt, dass etwa sein Film "Land of Plenty" genau so teuer war wie eine große Hollywood-Produktion an einem halben Drehtag, dann schwingt immer noch die alte Hassliebe zu Hollywood mit. "Aber diese Peanuts verschaffen mir Freiheit", so brachte er es einmal auf den Punkt und schwärmt zugleich für Digitalfilme mit kleinem Budget. Und selbst der Leinwand will der bildgewaltige Filmschöpfer kein Monopol zugestehen: Ausgefeilte, durchdachte Bilder halten ihm zufolge selbst das Kleinformat eines Tablets aus.

Kein Maler oder Filmemacher ohne Musen: Privat hatte Wenders fast so viele Frauen an seiner Seite wie er Filme inszenierte. Inzwischen ist er mit der Berliner Fotografin Donata Wenders in dritter Ehe verheiratet und gibt mit ihr gemeinsame Fotobände heraus. Fotografieren, "Schreiben mit Licht", ist seine zweite Leidenschaft.

Filme von Wim Wenders anlässlich des 70. Geburtstags im TV:

"Im Lauf der Zeit" (1976), ARTE, Mo., 03.08., 22.10 Uhr

"Paris, Texas" (1984), 3sat, Fr., 07. 08., 22.35 Uhr; um 0.55 Uhr: "Kennwort Kino: Wim Wenders"

"Alice in den Städten" (1974), 3sat, So., 09.08., 10.40 Uhr

"Land of Plenty" (2004), 3sat, So., 09. 08., 0.30 Uhr

"Palermo Shooting" (2008), 3sat, So., 09.08., 02.30 Uhr

"Yamamoto - Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten" (1989), 3sat, So., 09.08., 04.15 Uhr

"Bis ans Ende der Welt" (1991, Director's Cut), ZDF, Fr., 14.08., 01.10 Uhr

"Der amerikanische Freund" (1976), ZDF, Sa., 15.08., 0.30 Uhr

Von Wilfried Geldner

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