Straight Outta Compton
Filmbewertung: überzeugend
Starttermin: 27.08.2015
Regisseur: F. Gary Gray
Schauspieler: O'Shea Jackson jr., Corey Hawkins, Jason Mitchell
Entstehungszeitraum: 2015
Land: USA
Freigabealter: 12
Verleih: Universal
Laufzeit: 147 Min.
Ice Cube
Straight Outta Hollywood
Dass die Karrieren erfolgreicher Musiker bereits vor deren Ableben in einem Biopic aufgearbeitet werden, ist ungewöhnlich. Aber N.W.A, die Crew um die HipHop-Ikonen Dr. Dre, Ice Cube und Eazy-E (gut, der ist leider schon tot), war eben auch keine gewöhnliche Rap-Formation. Das belegt auch besagtes Biopic namens "Straight Outta Compton" (Kinostart: 27. August). Im Rahmen der Europa-Premiere des Films beehrte kürzlich Ice Cube die Hauptstadt, seines Zeichens N.W.A-Gründer und Co-Produzent des Films. Ein Treffen mit einer lebenden Rap-Legende.

Ein wenig skurril mutet es schon an, als Rapper Ice Cube den zum Interview hergerichteten Raum im Berliner Ritz Carlton betritt. Klar, mittlerweile ist der 46-Jährige nicht mehr nur Rapper, sondern auch ein erfolgreicher Hollywood-Schauspieler, Entertainer und Geschäftsmann. So gesehen passt er da schon hin. Doch er ist eben auch der Typ, der Mitte der 80er-Jahre so wütend, ehrlich und greifbar vom Leben auf den Straßen von Compton erzählte, dass man sich fast selbst auf dem aufgeheizten Asphalt stehen sah; jene Straßen von Compton, in denen man ein Hotel wie das Ritz Carlton bis heute vergeblich sucht.

Doch Ice Cube ist da. Schwarzes Baseballcap, schwarzes N.W.A-Shirt, schwarze Sneaker. Sein Mut, sich auszuprobieren, scheint sich vor allem auf die Kunst zu beschränken, nicht auf Mode. Er wirkt klein, kleiner zumindest als in seinen Filmen oder Musikvideos. Aber vielleicht liegt das auch bloß an seiner weiten Garderobe. HipHop to the fullest!

In der Hand hält er einen Pappbecher von Starbucks, auf dem allerdings ein anderer Name steht als Ice Cube oder O'Shea, wie er mit bürgerlichem Namen heißt. Selbst geholt hat er sich den Kaffee offenbar nicht, sondern ihn sich bringen lassen und stattdessen lieber ein bisschen länger geschlafen. Klingt sinnig. Schließlich fand am Vortag die Europa-Premiere des Films "Straight Outta Compton" über Ice Cube und seine damalige Rap-Crew N.W.A statt. Im Anschluss an die Vorführung stand zudem noch die obligatorische Premieren-Party an. Und derlei Feierlichkeiten dauern in der Regel lang. Cube wirkt jedenfalls müde, auch wenn er seine Unausgeschlafenheit geschickt hinter einer Sonnenbrille verbirgt. Abnehmen möchte er die nicht. "Glaub mir: Diese Augen willst du nicht sehen!"

Der fehlenden Bettruhe und dem Jetlag zum Trotz: Ice Cube ist ein angenehmer Gesprächspartner, der aufmerksam zuhört, wenn man ihm eine Frage stellt. Einer, der erst nachdenkt, bevor er den Mund aufmacht. Und jemand, der sehr langsam spricht und seine Worte mit Bedacht wählt. Aber wie könnte es auch anders sein? Nicht umsonst gilt der vierfache Vater als einer der versiertesten Lyriker und Geschichtenerzähler der gesamten HipHop-Historie. Auf sein Konto gehen nicht nur Songs wie die zeitlose Anti-Polizei-Hymne "Fuck Da Police" oder das Meinungsfreiheit propagierende "Express Yourself", sondern auch die meisten anderen N.W.A- und Eazy-E-Lieder sowie die seiner neun Soloalben - viele davon lupenreine Rap-Klassiker.

Aber wie schafft man es, über einen solch langen Zeitraum - immerhin mehr als drei Dekaden - relevant zu bleiben? "Ich schere mich nicht um Relevanz. Mir ist es wichtiger, ich selbst zu bleiben", entgegnet Cube mit einer Stimme, der deutlich anzuhören ist, dass sie am heutigen Tag noch nicht häufig zum Einsatz kam. "Ich habe mich entschieden, keinen Trends mehr hinterherzulaufen - mit der Folge, dass ich heute nicht mehr oft im Radio gespielt werde. Aber das ist okay, ich habe einen anderen musikalischen Weg eingeschlagen. Und ich freue mich über jeden, der mich begleitet."

Vergleichbare Sätze fallen häufig, wenn man auf Künstler trifft, deren größte Zeit vorbei ist. In der Regel schwingt dann ein bisschen Verbitterung mit; darüber, dass sich an die alten Triumphe kaum noch Leute erinnern und sich neue Erfolge nicht einstellen wollen. Doch Ice Cube ist eine solche Verbitterung nicht anzumerken. Vielleicht bringt er aber auch bloß seine darstellerischen Fähigkeiten zum Einsatz, mit denen er, neben der Musik und seit seinem ersten Mitwirken im Hood-Movie-Klassiker "Boyz N The Hood" (1991), eine beinahe schon 25 Jahre währende Schauspielkarriere bestreitet.

Angefangen hat aber alles mit der Musik. "Mir ging es nie darum, reich oder berühmt zu werden", sagt Cube. "Ich wollte im Radio gespielt werden. Und ich wollte von den Rappern respektiert werden, zu denen ich damals aufsah. Beides habe ich erreicht." Als er das sagt, lehnt er sich zufrieden auf seinen teuer aufgepolsterten Ritz-Carlton-Stuhl zurück und scheint hinter seiner Sonnenbrille kurz die Augen zu schließen. So wirkt ein Mann, der mit sich und dem bisherigen Verlauf seines Lebens im Reinen ist.

Aber warum sollte er das auch nicht sein? Immerhin hat er es aus Compton - nach wie vor eine der gefährlichsten Orte der USA - bis nach Hollywood geschafft; hat mit seinen Songs nicht nur seiner Stadt und der gesamten amerikanischen Westküste, sondern einer ganzen Bevölkerungsschicht ein neues Selbstbewusstsein verpasst. Er hat Dinge verändert und dafür eine Waffe benutzt, deren immense Kraft seinen Leidensgenossen vorher nicht so bewusst war: das gesprochene Wort.

"Mir geht es auch heute noch darum, die bösen Mächte zu bekämpfen, die dafür sorgen, dass Menschen sich gegenseitig umbringen - daran hat sich seit N.W.A nichts geändert", erklärt der Mitte der 90-er zum Islam konvertierte Amerikaner und ergänzt nach einer kurzen Denkpause: "Aber heute benutze ich dafür nicht mehr nur Rapmusik. Ich mache auch Filme, Serien und setze mich in TV-Shows. Selbst ich als Person inspiriere Leute, indem ich tue, was ich tue - indem ich einfach ich selbst bin und keine Angst davor habe, zu neuen Ufern aufzubrechen." Das mache den Leuten Mut, ihr eigenes Ding durchzuziehen und besser in dem zu werden, was sie tun: "Ich sage den Leuten: Lasst euch nicht aufhalten!"

Das war schon Ende der 80-er so, als Ice Cube und N.W.A im bereits erwähnten Song "Fuck Da Police" die skrupellose und unwillkürliche Polizeigewalt gegen Schwarze zu einer musikalischen Steinschleuder machten, mit der sie fortan auf Goliath schossen - auf das LAPD und den gesamten amerikanischen Polizeiapparat: "Wir waren damals die Ersten, die das Werken und Wirken der Polizei öffentlich in Frage stellten", sagt Ice Cube. Doch wenn man sich die jüngsten Vorkommnisse von Polizeigewalt in amerikanischen Städten wie Ferguson, Baltimore und Charleston ansieht, scheint sich in den letzten 30 Jahren nichts verändert zu haben. "Das ist eine Schande, ohne Frage", findet Cube. "Aber ein bisschen was tut sich schon. Immerhin wird darüber gesprochen. Ein kollektives Schamgefühl macht sich breit. Und einige Polizisten wurden bereits angeklagt. Hoffen wir also, dass sie ihre gerechte Strafe erhalten."

Ice Cube hat viel zu erzählen, doch zu wenig Zeit. Weitere Interviews stehen an, bevor er später nach London aufbrechen muss - um dort noch mehr Interviews zu geben. So ist es eben, das Leben im Showbiz. Bei der Verabschiedung bedankt sich die HipHop-Koryphäe für das Interesse und das Gespräch, bevor er schlurfend Richtung Foyer verschwindet. Und nach wie vor wirkt er im Ritz Carlton so deplatziert wie ein vor Schimpfworten nur so strotzender Gangstarap-Track im Formatradio.

Von Daniel Schieferdecker

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