Buster Keaton
Stummer Absturz, später Ruhm
Er durfte es noch erleben. Wenige Jahre vor seinem Tod entdeckte die Welt Buster Keaton und seine Filme wieder. Einer der überragendsten Komiker aller Zeiten gewann so die ihm gebührende Wertschätzung zurück, die ihm mit der Erfindung des Tonfilms gleichsam über Nacht genommen wurde. Lange war Keaton, der neben Charlie Chaplin und Harold Lloyd zu den drei großen Stars der Stummfilmära gehörte, am Boden gewesen, dem Alkohol verfallen, ein Wrack und persona non grata bei den Studiobossen. Als der "Mann, der niemals lachte" vor einem halben Jahrhundert, am 1. Februar 1966, an den Folgen einer Lungenkrebserkrankung starb, tat er das in versöhnlicher Distanz zu jenem Filmgeschäft, das ihm in jungen Jahren eine gigantische Karriere bescherte.

Es dauerte nicht lang, und man nannte ihn "The Great Stone Face". Buster Keaton, 1895 als Sohn einer Artistenfamilie unter dem Namen Joseph Frank in Kansas geboren, erschuf mit seinem emotionslosen, beinahe versteinerten Gesichtsausdruck schon früh ein ewiges Markenzeichen. Der stoische Blick des hageren jungen Mannes gehörte zur legendären Hoch-Zeit des Stummfilms ebenso wie Chaplins Stock und Melone oder Lloyds Strohhut und Hornbrille.

Bevor Keaton jedoch als einer der ersten Hollywoodstars überhaupt die damals spektakulären Leinwände der modernen Lichtspielhäuser eroberte, schien ihm die klassische Darbieter-Laufbahn der Jahrhundertwendezeit vorgezeichnet. Nicht nur soll ihm der Legende nach als Kleinkind infolge eines Treppensturzes niemand Geringerer als der Entfesselungskünstler Houdini zum Namen "Buster" verholfen haben. Er folgte auch einer Familientradition: Mit akrobatischem Können gesegnet, trat der Junge mit seinen Eltern unter dem Label "The Three Keatons" in "Vaudeville" genannten, zirkusartigen Provinz-Varietés auf.

Von den Eltern ausgebeutet - unter anderem musste er als "menschlicher Mop" mit lebensgefährlichen Stunts für die Belustigung des Publikums sorgen - zog es Keaton, der nie eine schulische Ausbildung genoss, mit 21 zum damals brandneuen Filmgeschäft. In New York traf er den Komiker Roscoe Arbuckle, in dessen Filmen er von 1917 an auftrat. Sein Debüt mit "The Butcher Boy" markierte den Beginn einer zu jener Zeit völlig außergewöhnlichen Form von Karriere. Die Studios überschütteten ihn mit Angeboten, nachdem Keaton aus dem zehnmonatigen Kriegsdienst aus Frankreich zurückgekehrt war.

Im noch spärlich entwickelten Filmbusiness besaß der junge Keaton bereits kurz nach seinem Langfilmdebüt in "The Saphead" sein eigenes Filmstudio. Fortan drehte das markante Genie als Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Darsteller Dutzende der beliebtesten Stummfilme ihrer Zeit. Mit dem Riesenerfolg "The Navigator" gelang es Keaton 1924 endgültig, zu den beiden Kino-Comedy-Ikonen Charlie Chaplin und Harold Lloyd aufzuschließen. Doch da war etwas, das diesen ernsten Typen mit dem reaktionslosen Gesicht von seinen virilen, emotionsgeladenen und mimikreichen Star-Kollegen unterschied.

Er war einfach nur da, sein trockener Humor benötigte keine großen Gesten, keine Slapstickeinlagen. Das faszinierte, verstörte aber zugleich. Der berühmte Soziologe und Filmtheoretiker Siegfried Kracauer analysierte 1926: "Dieser schmale, kleine Mann" habe "durchaus die Beziehung zum Leben verloren". An Keatons Rollen machte er die Überforderung der Moderne, der entfremdenden Großstadt fest: "Die vielen Gegenstände: Apparate, Baumstämme, Trambahnwände und Menschenkörper veranstalten ein Kesseltreiben mit ihm, er kennt sich nicht mehr aus, er ist unter dem sinnlosen Druck der zufälligen Dinge apathisch geworden."

Die Zeit seiner eigenen, ebenso apathischen Konfrontation mit den "modern times" begann, als Keaton mit seinem selbsternannten Lieblingswerk "Der General" finanziell in den Abgrund stürzte - so wie die darin tatsächlich zerstörte Lokomotive, die den Film zum teuersten der Stummfilmzeit machte. Er wechselte zum aufstrebenden Studio MGM, das ihm ein publikumstauglicheres Image verpasste. Mit Erfolg: Das selbstreferenzielle "The Cameraman" wurde zu einem seiner meistgelobten Werke. An den Box Offices waren Keatons Filme um 1930 von größten Erfolgen gekrönt, persönlich jedoch litt er unter mangelnder künstlerischer Freiheit. Keaton begann exzessiv zu trinken.

Neben dem Alkoholismus besiegelte eine verhängnisvolle Erfindung den Niedergang der Ikone: der Tonfilm. So mancher Stummfilmstar wurde dadurch arbeitslos, am schlimmsten jedoch litt Buster Keaton unter den Neuerungen. Mit einer tiefen, rauen Stimme ausgestattet, die einfach nicht zu seiner zerbrechlichen Gestalt passen wollte, war die Magie seiner Kunst schlagartig gebrochen. Er trank weiter, wurde gefeuert und von den Studios ignoriert. In wenigen Jahren hatte sich der einstige Kinoartist zum körperlichen und psychischen Wrack gewandelt, ließ sich 1935 gar in die Psychiatrie einweisen.

Während die Zeit des großen Hollywood-Glamours anbrach, schlug sich Keaton über ein Jahrzehnt mit schlechtbezahlten Comedyjobs durch. Als er schon beinahe aus dem Blick geraten war, erinnerte der einflussreiche Filmkritiker James Agee 1949 im "Life Magazine" an den "am tiefsten stummen aller Stummfilmkomiker". Zudem machte ihm Billy Wilder 1950 ein Angebot, das er nicht ausschlagen konnte. In "Boulevard der Dämmerung" nimmt Buster Keaton an einer der berühmtesten Kartenrunden der Filmgeschichte teil. "Ich passe" - das ist alles, was die Legende darin sagt.

Beruflich hatte er damals eigentlich schon lange gepasst, privat immerhin lebte er mit der 23 Jahre jüngeren Eleanor eine glückliche Ehe bis an sein Lebensende. Mit seiner Frau begann Keaton auch, im aufkommenden Fernsehen in Sketchen aufzutreten. Plötzlich interessierte man sich wieder für den einst Vergessenen, restaurierte und sammelte seine Werke, sprach darüber. Seine Filme wurden auf einmal als Klassiker rezipiert. 1952 trat er gar an der Seite von Charlie Chaplin im Kinofilm "Rampenlicht" auf.

Genau dorthin kehrte Buster Keaton in seinen letzten Jahren verdientermaßen zurück, erhielt 1957 eine eigene Filmbiografie und zwei Jahre später einen Oscar für sein Lebenswerk. Filmfestivals ehrten ihn als lebende Legende des Kinos. Es darf als eine der wenigen wirklich herzerwärmenden Tatsachen des sonst so zynischen Business gelten, dass dem zuvor spektakulär Gescheiterten und Missachteten die gebührende Anerkennung zu dessen Lebzeiten zuteil wurde. Dass Buster Keaton einst fast aus der kollektiven Erinnerung getilgt war, kann man sich heute, 50 Jahre nach seinem Tod, glücklicherweise kaum mehr vorstellen.

Von Maximilian Haase

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