Cher
Kunst und Kakerlaken
Das Popgeschäft ist schnelllebig und vergänglich, Ausnahmen bestätigen die Regel. Wer nicht nach ein paar Jahren des Erfolges wieder von der Bildfläche verschwinden will, muss nicht nur ein toller Künstler sein, sondern auch Kreativität in der Darstellung der eigenen Person beweisen - erst recht, wenn man sich als etwas in die Jahre gekommene Frau in diesem noch immer von Männern dominierten Business behaupten will. Cher ist eine der ganz wenigen Künstlerinnen, denen das gelang. Mit schrillen Outfits und unzähligen Schönheits-OPs hat sich die Sängerin und Schauspielerin kurzerhand zum Gesamtkunstwerk erklärt, das von Millionen Bewunderern gerne bestaunt wird. Cher ist extravagant, immer neu, ewig jung, Hoffnung gebend, für alle, die an die biologische Vergänglichkeit glauben. Cher ist ... na ja, Cher. Am 20. Mai vollendet die größte Diva der Popära ihr 70. Lebensjahr.

Was bei Cher interessiert, sind - neben der Musik und den Filmen (ihren letzten, "Burlesque", legte sie nach langer Pause 2010 vor) - vor allem Äußerlichkeiten, weil sie von ihrer Persönlichkeit ohnehin so gut wie nichts öffentlich preisgibt: die atemberaubende Figur, die romantischen, immer etwas traurig blickenden Augen, ihre diversen Tätowierungen und besonders ihre ausgefallenen, sexy Outfits, die sie bei Auftritten und in ihren Musikvideos so lange zur Schau stellte. "Ich hasse es, wenn man sich gehen lässt und ständig in Jeans und Sweat-Shirt oder ausgebeulten Trainingsanzügen rumläuft", sagte sie dazu in einem Interview. Mode, so Cher, sei eine Kunst, in die der eigene Körper integriert werde.

Mindestens genauso viel über das Gesamtkunstwerk Cher sagt folgendes Zitat aus: "Es ist manchmal ein lächerlicher, dreckiger Job, Cher zu sein. Aber einer muss ihn ja machen ...". Dabei wollte sie ihr Leben lang nichts anderes sein. "Ich war schon Cher, bevor ich Cher war", sagte sie einmal. Schon als Teenager übte Cherilyn Sarkisian, so ihr bürgerlicher Name, ihre Autogrammunterschrift und arbeitete bereits mit 14 als Modell in Werbestudios - auch weil die heroinabhängige Mutter nicht in der Lage war, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Sicher ein Grund, weshalb sich die Künstlerin immer wieder gegen jeglichen Drogenkonsum ausspricht. Cher wuchs in El Centro/Kalifornien in ärmlichen Verhältnissen auf.

Mit 16 verließ die attraktive Tochter einer erfolglosen Schauspielerin und eines Cherokee-Indianers die Schule und ihre Heimat, um in der Stadt der Engel Karriere zu machen. Dort lernte sie den Sänger "Sonny" Bono kennen, den sie 1964 heiratete. Einen ersten großen Hit hatte das Duo Sonny & Cher 1965: "I Got You Babe" hielt sich drei Wochen auf dem ersten Platz der US-Charts. Cher wandelte aber schon während der Zeit mit Sonny fleißig auf Solopfaden und wurde nebenbei zu einer Trendsetterin der Hippie-Generation. Mitte der 70er-Jahre folgte dann die erste Runderneuerung: Cher trennte sich von Sonny und fiel nicht mehr durch schrille Hippie-Klamotten, sondern mit sündhaft teuren Abendkleidern auf.

Eine neue, ebenfalls kurze Ehe mit dem Rock-Musiker Gregg Allman, etliche TV-Shows und viele Hits später beschloss die energiegeladene "Goddes of Pop", mal wieder etwas Neues auszuprobieren. Sie wechselte Anfang der 80-er ins Schauspielfach und war auch in diesem Genre überaus erfolgreich. Für ihre Rolle in dem Anti-Atomkraft-Film "Silkwood" erhielt sie 1983 den Golden Globe und eine Oscar-Nominierung. Weitere große Kinoerfolge waren "Die Maske" (1983), "Die Hexen von Eastwick" (1987), "Meerjungfrauen küssen besser" (1990) und "Mondsüchtig", für den Cher 1988 mit dem "Oscar" als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde.

In Zusammenarbeit mit Michael Bolton und Jon Bon Jovi kehrte die Sängerin 1987 wieder auf den Pop-Markt zurück. Das nach ihr benannte Album war ein Top-Ten-Erfolg, und der Nachfolger "Heart Of Stone" (1989, inklusive der Hits "After All" und "If I Could Turn Back Time") bekam US-Doppelplatin. Doch dann musste Cher ihrem Leben auf der Überholspur Tribut zollen. Sie erlitt eine schwere Viruserkrankung, die sie nicht auskurierte, bis sie ein chronisches Müdigkeitssyndrom vollends von den Beinen holte. Als sie auch noch bekanntgab, sie würde sich fortan als Innenarchitektin verdingen, befürchteten die Fans schon, dies sei das Karriereende.

Dabei holte sie erst noch zum ganz großen Schlag aus. Nach einem neuen musikalischen Anlauf "It's A Man's World" (1995), und ihrem Regiedebüt ("Haus der stummen Schreie", 1997), kam 1998 der Cher-Hit schlechthin. "Believe", ein ideales, computerunterstütztes Vehikel für die kraftvolle, kühle Stimme, war weltweit auf Platz eins; das gleichnamige Album stand diesem Erfolg in nichts nach. Und das, obwohl die zweifache Mutter sich anfangs dagegen sträubte, ein Dance-Album aufzunehmen. Cher sagte, dass man sie förmlich ins Studio schubsen musste.

Ganz aus dem Medieninteresse zu kegeln war Cher auch jenseits der 60 nicht. Obwohl man in diesem Lebensabschnitt für die Entscheider des Showgeschäfts für gewöhnlich längst nicht mehr existent sei, sagte sie einst selbst: "Ich bin wohl die Einzige in meinem Alter in den Charts, alle anderen sind ja schon tot" - so witzelte sie, als ihr letztes Album "Closer To The Truth" 2013 auf Platz drei der Billboard-Hitliste einstieg. Trotzdem: Begeistert über ihr fortschreitendes Alter ist die in Malibu residierende "Queen of Comebacks" nicht: "Altwerden ist scheiße. Wer was anderes behauptet, lügt", gab sie sich vor drei Jahren ganz offenherzig im "Bild"-Interview. Ihre "Grundehrlichkeit" sei schon immer sowohl Segen im Zwischenmenschlichen als auch Fluch in der Zusammenarbeit mit anderen Egos gewesen, erklärte sie andernorts.

Eine außergewöhnliche Frau, vielseitig begabte Künstlerin und geheimnisvolle Diva - Cher hat sicher Recht, wenn sie behauptet: "Ich habe Musikgeschichte geschrieben, ob man das akzeptiert oder nicht - es ist nun einmal so!" Ob die erklärte Donald-Trump-Widersacherin dem noch ein weiteres Kapitel hinzufügen wird? Bei Cher weiß man nie. Ihre ausgedehnte "Farewell"-Tour zwischen 2002 und 2005 entpuppte sich als Makulatur, als sie drei Jahre später einen Dreijahresvertrag in Las Vegas für eine "Residency" unterschrieb. Der Abbruch der "Dressed To Kill"-Konzertreihe 2014 aufgrund einer erneuten Viruserkrankung machte dann aber doch stutzig.

Über eine mögliche, von ihr selbst inszenierte autobiografische Broadway-Show war seit einer Ankündigung 2012 nicht mehr viel zu hören. Doch totzukriegen ist das Bühnenwunder nicht, damit brüstet sich Cher sogar selbst: "Wahrscheinlich stimmt der schreckliche Witz über mich doch: Wer überlebt den nächsten Atomkrieg? Antwort: Kakerlaken und Cher!"

Von Hubert Geis

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