Snowden
Filmbewertung: ausgezeichnet
Starttermin: 22.09.2016
Regisseur: Oliver Stone
Schauspieler: Joseph Gordon-Levitt, Shailene Woodley, Melissa Leo
Entstehungszeitraum: 2016
Land: USA/ D
Freigabealter: 6
Verleih: Universum Film (Walt Disney)
Laufzeit: 135 Min.
Oliver Stone
Keine Zeit für Hoffnung
Er wirkt müde. Nur wenige Tage nach seinem 70. Geburtstag - aus dem er keine große Geschichte gemacht haben will - ist Oliver Stone schon wieder in München zu Gast. In der Stadt, in der sein aktueller Film "Snowden" (ab 22.9.) zum Großteil gedreht und vor allem produziert wurde. Natürlich lehnt er sich im Biopic abermals gegen die politische Klasse der USA auf. Stellt er doch den in US-Nachrichtendienstkreisen meistgehassten Whistleblower als intelligenten, integren und vor allem mutigen jungen Mann dar. Ein Mann, der eigentlich Hoffnung verbreiten müsste, doch dessen Enthüllungen vor allem eine Machtlosigkeit offenbaren, die dem Meisterregisseur zusetzt, wie er im Interview zugibt.

teleschau: Alles Gute nachträglich zu Ihrem 70. Geburtstag!

Oliver Stone: Vielen Dank!

teleschau: Es wirkt nicht so, als ob sie bald einen Gang zurückschalten würden ...

Stone: Warum auch? Aber ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, wie es weitergehen wird. Ich will erst einmal "Snowden" weltweit veröffentlicht sehen und Propaganda dafür machen. Danach? Wird man sehen.

teleschau: Es heißt des Öfteren, Edward Snowden habe mit seinen Leaks die Welt verändert. Wo sind die Änderungen zu spüren?

Stone: Die Welt hat er noch nicht verändert. Er hat uns aber das Wissen gegeben - Wissen, das unser vorheriges um Weiten übersteigt. Nun müssen wir etwas gegen diese Massenüberwachung tun, sonst wächst dieser untragbare Zustand unaufhaltsam weiter.

teleschau: Und Sie helfen ihm nun mit Ihrem Film.

Stone: Er half uns. Ich hab nur diesen Film gemacht. Ich bin kein Weltaktivist, war ich nie. Ich bin noch nie da rausgegangen und habe meinen Kopf hingehalten. Ich mache Filme, so gut und aufregend, wie ich es kann, und hoffentlich schaut das jemand. Das sorgt dann vielleicht für ein neues Bewusstsein. Vielleicht kratz' ich auch an dem ein oder anderen Gewissen. Aber was kann ich schon ausrichten? Ich bin kein Politiker.

teleschau: Etwas ins Bewusstsein zu rufen, ist auch eine Art von Aktivismus.

Stone: Vielleicht stimmt das. Aber ich sehe mich nicht so. Die Leute lesen Bücher, schauen Filme und Dokumentationen. Ich mache da nur einen ganz kleinen Teil aus.

teleschau: Fehlt es den Leuten an Information, um zu verstehen, dass Edward Snowden etwas Gutes für sie getan hat?

Stone: Das ist wohl der Hauptgrund, warum viele normale Bürger die von oben aufgetragene Position beziehen und sagen, er sei ein Dieb, ein Verbrecher. Die Sachlage ist nun einmal kompliziert. Es geht um immaterielle Dinge. Man kann nichts anfassen von dem, worüber geredet wird. Es geht um Daten, um eine unbekannte Cyberwelt. Wer versteht das schon?

teleschau: Wie ist Ihre Beziehung zum Internet und den Neuen Medien?

Stone: Ich mache da mit, soweit ich es muss. Aber ich versuche mich insgesamt rauszuhalten. Mir macht es auch überhaupt keinen Spaß.

teleschau: Wie schwer war es, dieses streckenweise für Sie unbekannte Feld so darzustellen, dass ein Hollywood-gerechter Film daraus wird?

Stone: Natürlich mussten wir uns erst einmal durch einen Berg von Informationen arbeiten. Aber tatsächlich war es schwerer, überhaupt einen Hollywood-Film daraus zu machen - unmöglich sogar. Kein Studio wollte sich des Themas annehmen. Zum Glück hatte man in Deutschland nicht so viel Angst wie dort. Hollywood fürchtete sich vor der Brisanz des Themas.

teleschau: Oder wird die Traumfabrik immer unpolitischer?

Stone: Hollywood war nie politisch - aber schon immer ein Haufen Angsthasen. Und am Ende geht es nur darum, Sponsoren, darunter richtig große Unternehmen, zufriedenzustellen. Niemand davon will es sich verscherzen mit mächtigeren Entscheidungsträgern.

teleschau: In den USA fällt bei der Snowden-Diskussion auch immer wieder der Begriff "Patriot" - ist er einer oder eben nicht. Eine Diskussion, die Sie auch über Ihre Person nur zu gut kennen. Warum macht man überhaupt so einen Aufhebens um diesen Begriff?

Stone: Ja, warum. Woanders ist "Patriot" wohl auch anders konnotiert und nur im rechten Spektrum gebräuchlich. Wo es natürlich auch in den USA immer wieder hervorgeholt wird, von richtigen Halunken. Wir sind auch die Einzigen, die noch immer ihr Militär zelebrieren. Patriotismus ist für viele eine blinde Hingabe zum Militär und zu Regierungen, die immer wieder gegen das Gesetz verstoßen, die Soldaten widerrechtlich in den Krieg schicken.

teleschau: Das Wort bedeutet aber eigentlich etwas anderes ...

Stone: Als Patriot liebt man im Grunde erstmal nur sein Land, das Land, in dem man aufwuchs - genauso wie man seine Mutter liebt. Das ist auch unabhängig davon, was in diesem Land vorgeht und ob sich dort etwas zum Schlechteren verändert. Edward Snowden ist genauso wie ich ein Patriot - aber natürlich nur im Sinne der eigentlichen Wortbedeutung. Gerade in Deutschland, das versteht sich von selbst, bleibt es ohnehin ein Wort, mit dem man sich eher zurückhält. Wenn man das weiterdenkt, erkennt man auch Parallelen zwischen den heutigen USA und dem Deutschland in den frühen 30-ern. Die Nationalsozialisten versprachen mit ihren Gesetzen, die nationale Sicherheit zu stärken. Das ist nur durch falschen Patriotismus möglich.

teleschau: Haben Sie hier eine andere Wahrnehmung beim Thema Edward Snowden erfahren als in Ihrer Heimat?

Stone: Ich spüre hier schon ein anderes Bewusstsein, was diese Massenüberwachung, die er offenlegte, bedeuten kann. Das liegt bestimmt auch an der Geschichte, an den Erfahrungen mit der Stasi und den Nazis. In den USA interessiert sich leider kaum jemand dafür. Es gibt natürlich einen fast schon verschworenen Kern an Leuten, die verstehen, um was es da geht. Aber das allgemeine Interesse ist gering.

teleschau: Nachdem Sie hier drehten: Können Sie sich vorstellen, auch mal ein europäisches Thema anzupacken? Die Flüchtlingskrise würde sich doch aufdrängen ...

Stone: Die Leute glauben immer, ich würde aktuelle Themen bearbeiten wollen. Das ist aber gar nicht der Fall. Es geht um die Story. Es geht vor allem um Personen, die mich interessieren. Das sehe ich gerade nicht in diesem Umfeld. Außerdem dauern Filme einfach zu lange, um in einem so aktuellen Thema stattzufinden. Da fallen dir dann zum Kinostart Neuentwicklungen oder noch aktuellere Ereignisse auf die Füße. Eine Dokumentation kann da in einer anderen Geschwindigkeit einen Ausschnitt zeigen. Und vielleicht reicht mir auch mal die große Politik. Vielleicht mache ich einfach mal einen Horrorfilm als Nächstes (lacht).

teleschau: Europa schien sich kaum zu wehren, obwohl sogar die Telefone von wichtigen Politikern überwacht wurden. Verliert der alte Kontinent an Macht?

Stone: Definitiv. Dem Vergleich mit dem Europa in den 60-ern, wie ich es als junger Mann kennenlernte, hält es schon lange nicht mehr Stand. Es verkommt zu einem Satellitenstaat der USA, große Entscheidungen werden hier keine mehr getroffen. Die USA bestimmen, was in der NATO vor sich geht. Jedes Recht der Mitsprache wird unter dem Vorwand des angeblichen Beschützens entzogen. Dieses Beschützen ist ein bizarres Konzept für mich. Ich will von niemanden, dass er mich beschützt. Das ist doch nichts anderes, als wenn die Mafia sich um einen "kümmert". Genauso wenig würde ich den USA vertrauen. Denn wenn es hart auf hart kommt, interessieren sie sich nur für sich selbst.

teleschau: Fürchten Sie mit dem Machtverfall Europas auch den Verlust einer liberalen Stimme?

Stone: Das müssen eh die Menschen übernehmen. Wir müssen unser Gewissen fragen und uns davon leiten lassen. Doch das ist überhaupt nicht der Fall. Die pure Macht hat nicht an Reiz verloren, im Gegenteil. George W. Bush hat bewiesen, dass sie noch immer das Wichtigste ist. Obama genauso. Auch er fuhr fort mit all den Kriegen, mit illegalen Kriegen, überall auf der Welt sind seine Drohnen unterwegs. Und natürlich der Cyber War - nichts anderes ist es doch, was Snowden aufdeckte.

teleschau: Hatten Sie vor acht Jahren eigentlich Hoffnung in Obama?

Stone: Das sind nicht die Zeiten, in denen man Hoffnung in einen Politiker stecken sollte. Obama hatte doch selbst nie Hoffnung. Er versprach so viele Reformen. Was ist nach acht Jahren davon übrig?

teleschau: Ist er selbst machtlos?

Stone: Offensichtlich ist er machtlos. Aber die Frage ist eher, ob er überhaupt ehrlich war. Er versprach, die Überwachung, von der wir noch gar nicht viel wussten, herunterzufahren. Er sagte, er wolle Transparenz schaffen. In Wirklichkeit verdoppelte er das Maß an Überwachung in seiner Amtszeit. Alles wurde größer und noch ausgetüftelter.

teleschau: Sie wirken desillusioniert. Und die Kandidaten zur nächsten US-Wahl werden Sie wohl auch nicht aufmuntern können ...

Stone: Ich fühle mich zurzeit etwas niedergeschlagen, das ist richtig. Ich hätte gerne einen Kandidaten gehabt, der für Frieden steht. Ich will eine Partei, die für Frieden steht. Frieden ist die Lösung bei jedem Zwist. Dieses Konzept von: "Wir sind die Nummer eins, alle anderen sollen zur Seite treten" und: "Wir erlauben niemand anderem, etwas von unserem Macht-Kuchen abzuhaben" - es ist sehr gefährlich. Das führte schon immer nur zu Krieg.

teleschau: Was können Sie über Snowdens Leben in Moskau sagen?

Stone: Er lebt ein sehr diszipliniertes Leben. Er sitzt fast nur vor dem Computer, war schon immer ein Workaholic. Durch seinen Kopf schwebt fast nichts außer diesen Themen. Er macht sich Gedanken über Reformen, über Verschlüsselungen. Er ist voll in der Sache drin, topinformiert und im ständigen Austausch mit Kollegen.

teleschau: Kann er sich in Russland frei bewegen?

Stone: Edward hat Sicherheitsmaßnahmen getroffen, um sich vor eventuellen Angriffen jeder Art aus den USA zu schützen. Aber sonst kann er sich unerkannt frei bewegen. Für die Russen wäre es ja auch eine unangenehme Geschichte, würde ihm etwas in ihrem Land zustoßen. Ich glaube aber, er hält sich sowieso zurück und ist am liebsten zu Hause. Er war ja eh nie der ausgehfreudigste Mensch (lacht).

Von Max Trompeter

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