Molly's Game: Alles auf eine Karte
Filmbewertung: ausgezeichnet
Starttermin: 08.03.2018
Regisseur: Aaron Sorkin
Schauspieler: Jessica Chastain, Idris Elba, Kevin Costner
Entstehungszeitraum: 2017
Land: USA
Freigabealter: 12
Verleih: Square One / Fox
Laufzeit: 140 Min.
Jessica Chastain
Die Summe ihrer Entscheidungen
Man sieht ihr ihre Erkältung an. Über dem Cocktailkleid, das sie für den Interviewtag auswählte, trägt Jessica Chastain völlig uneitel eine sportliche graue Vliesstrickjacke, vor ihr steht eine große Tasse Tee. Theoretisch nicht die besten Voraussetzungen, um sich über ihren neuen Film, "Molly's Game" (Start: 8.3.), zu unterhalten, in dem sie die toughe Leiterin eines hochklassigen Pokerrings spielt. Doch die 40-Jährige ist nicht nur höchst professionell, sondern auch die Freundlichkeit in Person. Und eine Frau, die etwas zu sagen hat. Nicht erst im Zuge der "MeToo"-Debatte setzt sich die zweifach oscarnominierte Darstellerin ("Zero Dark Thirty", "The Help") lautstark für Gleichberechtigung in Hollywood ein, ob es nun um Bezahlung, Rollenbild oder Repräsentation geht. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die letztjährige Cannes-Jurorin vor ihrem Durchbruchsjahr 2011 noch völlig unbekannt war. Doch wenn man als eine der besten Schauspielerinnen seiner Generation gilt, kann man sich eben eine Meinung erlauben.

teleschau: Sind Sie für eine Runde Poker zu haben, Frau Chastain?

Jessica Chastain: Nein, ehrlich gesagt, hasse ich Glücksspiel. Ich schaue gerne zu, aber werde viel zu nervös, um es selbst zu versuchen.

teleschau: Ihre Figur Molly baut einen sehr lukrativen Glücksspielring auf - aus Angst, irrelevant zu sein, wie im Film formuliert wird. Ist das eine Angst, die Sie kennen?

Chastain: Ich vermute, jeder stellt sich irgendwann die Frage, ob und wie er zum Geschehen in dieser Welt beiträgt. Ich persönlich habe keine Angst, dass ich meinen Beitrag nicht leiste, aber mir ist bewusst, dass ich mein Leben sehr in diesem Sinne ausrichte. Ich versuche jeden Tag, die Dinge zu verändern, und zwar zum Positiven.

teleschau: Und wie machen Sie das?

Chastain: Eigentlich trägt jede einzelne Entscheidung, die man trifft, dazu bei: Welche Art Rollen ich annehme, was ich sage, was ich kaufe, welche Medien ich nutze - jede Wahl hat ihre Folgen. Wenn ich in einem Taxi oder Uber mitfahre, unterhalte ich mich mit dem Fahrer, denn auch solche kleinen Gespräche können im Gegenüber etwas Positives auslösen. Was sie wiederum dazu bringen könnte, selbst etwas Nettes zu tun. Ich versuche, ein Leben zu leben, das andere zu mehr Mitgefühl mit ihren Mitmenschen inspiriert.

teleschau: Inwiefern ist Ihre Rollenauswahl dabei entscheidend?

Chastain: Mit den Filmen, die ich mir aussuche, will ich etwas bewegen, gerade in Hinblick auf die Gleichberechtigung. Ich wähle ganz bewusst Parts, die die Stärken von Frauen in all ihrer Vielfalt zeigen. Vor "Molly's Game" habe ich "Die Frau des Zoodirektors" gedreht, und die Figur, die ich darin spielte, war sehr sanft und zart und mitfühlend, hatte aber trotzdem eine unglaubliche innere Stärke. Frau muss nicht maskulin sein, um sich durchzusetzen.

teleschau: Dank der "MeToo"- und "Time's Up"-Bewegungen ist Gleichberechtigung derzeit das große Thema in Hollywood.

Chastain: Nicht nur dort, sondern überall. Der Fokus mag zwar auf Hollywood liegen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass andere Menschen genauso betroffen sind. Uns Schauspielerinnen wurde kürzlich ein Brief geschickt, der im Namen von 700.000 Farmarbeiterinnen aus allen Ecken der USA verfasst wurde. Darin schilderten die Frauen, welche Missstände sie jeden Tag erdulden, nur um ihre Kinder zu ernähren. Was sie durchmachen müssen, um ihre Familien zu versorgen. Sie meinten, dass wir genug Aufmerksamkeit bekämen, um endlich die Ungerechtigkeiten in Hollywood anprangern zu können, wir sie aber dabei nicht vergessen sollen. Und das ist mir wichtig. Es geht nicht um Hollywood, sondern um die Gesellschaft.

teleschau: Was glauben Sie, wie sich die Situation in den nächsten Monaten entwickeln wird?

Chastain: Das ist schwierig für mich, ich denke nicht besonders viel über die Zukunft nach. Ich versuche, von Tag zu Tag zu leben, denn meiner Meinung nach ist das das Einzige, was in unserer Macht steht. Wir wissen nicht, was nächste Woche passiert, geschweige denn im nächsten Jahr. Im Moment höre ich jedoch, dass viele Studios nun mehr Filmemacherinnen beschäftigen wollen oder die Zusammensetzung ihrer Vorstandsriege überprüfen. Denn das ist das eigentlich Entscheidende: Wer macht die Ansagen? Wie viele dieser Entscheider sind Männer, Frauen, welchen Ethnien gehören sie an? Ich hoffe sehr, dass dieses Arbeitsumfeld in Zukunft inklusiver wird.

teleschau: Können Sie sich vorstellen, später einmal zu diesen Entscheidern zu gehören?

Chastain: Die Weichen dafür habe ich bereits gestellt, als ich 2016 meine eigene Produktionsfirma Freckle Films gründete. Mein Ziel ist es, Filme für und über diejenigen zu drehen, die in der amerikanischen Filmindustrie an den Rand gedrängt werden.

teleschau: Freckle Films - eine Anspielung auf Ihre Sommersprossen?

Chastain: Quasi. Meiner Meinung nach schätzen wir das, was uns besonders macht, viel zu wenig. Die Gesellschaft ist sehr darauf fixiert, dass alles und alle gleich aussehen. Darum hasste ich auch meine Sommersprossen, als ich jung war. Heute weiß ich es besser und will deshalb eine Produktionsfirma leiten, die das feiert, was uns einzigartig macht.

teleschau: Haben Sie sich das Leben in der Filmbranche so vorgestellt, als Sie jünger waren?

Chastain: Genaue Vorstellungen hatte ich davon nicht. Auf jeden Fall ist mein Leben irgendwie größer geworden, als ich mir jemals ausgemalt habe. Vor ein paar Jahren stellte ich fasziniert fest, dass ich mehr Macht besitze, als ich vermutet habe. Zum Beispiel eben, dass ich meine eigene Produktionsfirma aufziehen kann. Schauen Sie sich an, was Reese Witherspoon mit ihrer schon alles geschaffen hat: "Wild", "Big Little Lies" - meiner Meinung nach sind die besten Arbeiten ihrer Karriere in den letzten Jahren entstanden, mithilfe ihrer eigenen Firma. Die Vorstellung, dass ich nicht zwangsläufig darauf warten muss, dass mir jemand ein Drehbuch schickt oder einen Job gibt, sondern in dieser Hinsicht aktiver sein kann - das hätte ich mir nicht träumen lassen.

teleschau: Haben Sie ein Vorbild?

Chastain: In Bezug auf die Filmbranche, definitiv Frauen wie Isabelle Huppert und Cate Blanchett. Vor allem, weil sie Künstlerinnen sind, die sich herausfordern. Sie spielen Theater, drehen Filme, arbeiten mit Regisseuren aus verschiedensten Ländern zusammen, leisten wirklich interessante Arbeit. Auf der anderen Seite weiß man aber nicht besonders viel über ihr Privatleben. Es geht immer um ihr Schaffen. Das finde ich erstrebenswert.

teleschau: Was macht eine starke Frau Ihrer Meinung nach aus?

Chastain: Für mich ist jede Frau eine starke Frau. Was diese Zeit gerade so aufregend macht, ist, dass Männer weicher sein dürfen und Frauen stärker. In der Vergangenheit wurde man auf beiden Seiten dazu gedrängt, jemand zu sein, der man nicht ist. Und das ist eine Ungerechtigkeit, unter der beide Geschlechter leiden: Die Selbstmordrate von Männern ist so viel höher als die von Frauen. Ich denke, das liegt daran, dass die Gesellschaft Männern vermittelt, sie müssten ihre Gefühle verbergen. Frauen hingegen blieb weitestgehend verwehrt, die Führungsrolle zu übernehmen. Es ist ungesund, in solche Schubladen gesteckt zu werden.

teleschau: Was gibt Ihnen innere Stärke in diesem Business?

Chastain: Mir hilft sehr, dass ich schon ein anderes Leben gelebt habe, bevor ich beim Film anfing. Ich ging zu Schule, studierte, lebte mit Freunden in einem winzigen Apartment in New York. Als ich nach Los Angeles zog, mietete ich die Wohnung gemeinsam mit meiner Oma als Mitbewohnerin. Das Gefühl dafür, wer ich bin, hatte ich schon lange, bevor ich lernte, wie sich Erfolg anfühlt. Darum habe ich nicht besonders viel Angst vor dem, was passiert, wenn der Erfolg eines Tages ausbleiben sollte. Ich freue mich über alles, was ich jetzt tun kann. Aber ich war zuvor auch schon ohne all das glücklich.

Von Annekatrin Liebisch

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