Andreas Döhler
"Ich schäme mich manchmal"
Diese Energie, diese Wucht, diese Präzision: Sieht man Andreas Döhler auf Bühne und Leinwand spielen, scheint es undenkbar, dass der 44-Jährige dies nicht schon seit Kindertagen tut. Aufgewachsen als Arbeiterkind in der ostdeutschen Provinz, verschlug es den markanten Sachsen vergleichsweise spät ans Theater; schnell folgten Engagements am Hamburger Thalia und dem Deutschen Theater in Berlin. Auch vor der Kamera brillierte Döhler. 2016 bescherte ihm "Die Hände meiner Mutter" den Förderpreis Neues Deutsches Kino. Aktuell gerät er langsam zum "Tatort"-Gesicht: Nach der Premiere als Bordellchef in Weimar gibt der für kaputte Rollen prädestinierte Wahlberliner im Münchner "Tatort: Freies Land" (Sonntag, 3. Juni, 20.15 Uhr, ARD) nun einen Reichsbürger. Über die Gefahren dieser Bewegung, den Umgang mit Rechten und das Leben in zwei Welten spricht Döhler beim Kaffee vor den Toren des Berliner Ensembles, dem er seit letzter Spielzeit angehört.

teleschau: Im aktuellen Münchner "Tatort" spielen Sie einen Rädelsführer der so genannten Reichsbürger. Von diesen, so wurde kürzlich bekannt, besitzen 1.500 einen Waffenschein. Halten Sie diese Leute für wirklich gefährlich?

Andreas Döhler: Ein riesiges Heer von Reichsbürgern halte ich für unwahrscheinlich - aber von Einzelnen geht sicher eine Gefahr aus. Ich glaube, da herrscht schon so ein Ideal der Wehrhaftigkeit, sich mit allen Mitteln gegen das System zu stellen. Das ist nicht zu unterschätzen.

teleschau: Sind Sie schon einmal einem Reichsbürger begegnet?

Döhler: Nicht, dass ich wüsste. Andererseits kann es natürlich sein, dass sich unter den Menschen, die mit mir in der Schlange beim Bäcker stehen, ein durchgeknallter Deutscher befindet, der tausendmal gefährlicher ist, als die Menschen, mit denen Christian Lindner beim Bäcker steht.

teleschau: Gab es für Ihre Reichsbürger-Rolle im "Tatort" ein echtes Vorbild?

Döhler: Wir erzählen eine fiktive Geschichte, die durchaus Bezüge zur Realität hat. Zumal in Bayern sehr viele der so genannten Reichsbürger leben.

teleschau: Was fanden Sie bei Ihrer Vorbereitung über die Reichsbürger heraus?

Döhler: Reichsbürger behaupten etwa, dass das Deutsche Reich bis heute fortbesteht und erkennen das Grundgesetz nicht als wirksame Verfassung an. Häufig sind es neben Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremisten Menschen, die ein Problem mit und in der Gesellschaft haben - oft auch finanzieller Natur. Droht ihnen beispielsweise die Pfändung ihres Hauses, wird diese nicht anerkannt, weil Vertreter und Institutionen des Staates ebensowenig anerkannt werden und in ihren Augen keine Legitimation besitzen.

teleschau: Es sind also eher persönliche Schicksale?

Döhler: Ich glaube schon, dass die untereinander vernetzt sind und dass es vielleicht so etwas wie eine Reichsbürger-Szene gibt. Aber die Einzelfälle sind oft speziell. Ein gewisser Narzissmus, denke ich, spielt auch oft eine Rolle - nach dem Motto: "Ich bin eigentlich zu etwas Größerem geboren - ich gegen die Gesellschaft". Belehrende Leute, die den anderen, den "dummen Schafen" der Gesellschaft die Augen öffnen wollen.

teleschau: Sie sind in Sachsen geboren und aufgewachsen. Nicht erst seit Pegida und AfD gilt das Bundesland als Nährboden für Reichsbürger und andere Rechte ...

Döhler: Ich wäre sehr vorsichtig, das nur dort zu verorten - siehe die Reichsbürger-Problematik in Bayern. Der Rechtsruck ist in ganz Deutschland und darüber hinaus, und zwar in allen sozialen Schichten, spürbar. Aber natürlich schon auch extrem in Sachsen.

teleschau: Hat es Sie überrascht, dass die AfD im Osten so einen Erfolg erzielte?

Döhler: Es hat mich schockiert, aber nicht überrascht. In Sachsen und Ostdeutschland gab es schon immer ein massives Problem mit Rechtsradikalen. Ich lebte dort bis zum Ende der 90er - zu der Zeit konnte man an manchen Tankstellen nicht anhalten, weil irgendwelche Nazis dir sonst das Auto zerschlagen hätten. Warum das gerade im Osten so stark war und ist, dazu gibt es ja die unterschiedlichsten Theorien. Was ich aber persönlich nicht begreife, ist diese vorherrschende diffuse Angst vorm Fremden und diese fehlende Empathie. Viele sind selbst Mütter und Väter, und es ihnen dennoch egal, dass da Menschen in Schlauchbooten ersaufen.

teleschau: Ärgern Sie sich als Ostdeutscher besonders über diesen Rechtsruck?

Döhler: Ja, ich schäme mich manchmal, denn ich bin dort großgeworden. Andererseits kenne ich genug Leute, die im Osten leben und rechte Gedanken überhaupt nicht teilen.

teleschau: Wie soll man Ihrer Meinung nach mit den AfDlern und anderen Rechten denn umgehen?

Döhler: In erster Linie geht es darum, Position zu beziehen - und dort, wo es geht, den Austausch zu suchen. Jemanden in die Ecke zu stellen und zu sagen: "Du bist dumm, einfach ein bescheuerter Nazi" - das bringt meiner Meinung nach nichts. Man sollte mit ihnen diskutieren, sie beispielsweise nach ihren Ängsten fragen und zumindest versuchen, zu reden - allerdings nicht mit allen. Ich kann zum Beispiel nicht akzeptieren, wenn Freunde, Bekannte oder eben auch Unbekannte aufgrund ihrer Hautfarbe angegriffen oder diskriminiert werden.

teleschau: Neben dem Reichsbürger-"Tatort" drehten Sie in kurzer Zeit zwei weitere "Tatorte". War das so geplant?

Döhler: Nein, das war eher Zufall. Außerdem spiele ich viel Theater und habe letztes Jahr zwei andere Filme gedreht, die auf dem diesjährigen Münchner Filmfest Premiere feiern.

teleschau: Stimmt der Eindruck, dass Sie Ihre Filmprojekte sehr genau auswählen?

Döhler: Nein, das täuscht. Es kommt eher darauf an, was für Angebote man bekommt. Zuletzt kamen mehr Anfragen, und ich hatte Lust zu drehen. Es ist auch immer eine finanzielle Frage: Selbst im Vergleich zu den Gagen an großen Theatern bekommt man für einen Dreh einiges mehr. Für mich ist es einfach ein Teil des Berufes.

teleschau: Zum Schauspiel sind Sie ohnehin eher zufällig geraten …

Döhler: Ja, damals sprach mich eine New Yorker Regisseurin in Leipzig an, die mit Leuten von der Straße Theater machen wollte. Ich war 22 und arbeitete meistens auf dem Bau. Die fragte mich dann, ob ich nicht mitmachen wolle. Dann machte das total Laune, und alles ging dann recht schnell.

teleschau: Recht ungewöhnlich für ein Arbeiterkind aus der ostdeutschen Provinz ...

Döhler: Ja, in meiner Familie hatte damit niemand was zu tun. Meine Eltern haben früher beide in der LPG gearbeitet, meine Mutter als Agrarökonomin, mein Vater als Landmaschinenschlosser. In den Anfangsjahren habe ich meine Eltern mal zu einer Vorführung am Thalia Theater in Hamburg mitgenommen. Meine Mutter fand das ganz gut, für meinen Vater war es eher nichts. Dann nahm ich ihn mit in die Gewerke, zeigte ihm die Tischlerei, die Schlosserei, den Sattler, den Malersaal. Wieviele Leute da rackern, damit am Abend das Licht angeht. Das hat ihn beeindruckt.

teleschau: War das anfangs auch für Sie ein Aufeinanderprallen der Milieus?

Döhler: Klar. Das ging an der Schauspielschule schon los - die hatten Namen drauf von Regisseuren, schon Hospitanzen hinter sich und spielten seit sie elf waren. Ich hatte bis dato vielleicht zwei Theaterstücke gesehen (lacht). Das ging dann weiter am Thalia Theater mit dem Hamburger Publikum. Und es ist bis heute nicht ganz weg.

teleschau: Woran zeigt sich das?

Döhler: Ich lebe ein bisschen zwischen zwei Welten. In der einen bin ich ein wenig der Proll vom Land, in der anderen eher so der Kunstheini, der Rotwein trinkt, rumvögelt und erst um elf aufsteht. Dort fragt schon mal ein alter Bauer: "Was machst du? Schauspieler am Theater? Na, noch nichts Richtiges geworden? Naja, der Raps blüht dieses Jahr zu früh ..." (lacht).

Von Maximilian Haase

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