Interview mit Chiwetel Ejiofor
"Es gibt keine einheitliche afrikanische Identität"
Über 15 Jahre ist es her, dass ein junger talentierter Schauspieler in der Kult-RomCom "Tatsächlich... Liebe" die Publikumsherzen höherschlagen ließ. Nach seinem Durchbruch mit dem heute modernen Klassiker geriet Chiwetel Ejiofor zum Fan- und Kritiker-Darling schlechthin, spielte in so unterschiedlichen Filmen wie "American Gangster", "2012" und "Doctor Strange" - und wurde für seine herausragende Rolle im Sklaven-Drama "12 Years A Slave" 2014 mit einer Oscar-Nominierung bedacht. Nun fungiert der 41-jährige Brite erstmals auch als Regisseur: Seine Buchadaption "The Boy Who Harnessed The Wind" basiert auf der wahren Geschichte des 13-jährigen William Kamkwamba, der im ostafrikanischen Malawi der Jahrtausendwende mit dem Bau eines Windrades eine Missernte und Hungersnot verhinderte. Ejiofor, der das Drama für den Streamingdienst Netflix nicht nur inszenierte, sondern auch Drehbuch und eine Hauptrolle übernahm, landete mit seinem Debüt sogleich im Wettbewerbsprogramm der diesjährigen Berlinale. Wichtiger war dem Sohn nigerianischer Eltern jedoch, mit seinem Film auch dem festgefahrenen Afrika-Bild des Westens etwas entgegenzusetzten. Der Film ist ab 1. März bei Netflix verfügbar.

teleschau: Warum wollten Sie die bereits in Buchform erschienene Geschichte von William verfilmen?

Chiwetel Ejiofor: Ich hielt Williams Geschichte für unglaublich. Hoffnungsvoll, optimistisch, inspirierend. Er ist ein tolles Beispiel dafür, wie man im Leben nach Lösungen zu sucht, wenn alles problematisch wird. Zudem zeichnet seine Story ein sehr authentisches Bild dieser ländlichen Gemeinschaft, die sich gegen jede Wahrscheinlichkeit der existenziellen Bedrohung stellt.

teleschau: Wie sehr hielten Sie sich an die Buchvorlage?

Ejiofor: Das ist natürlich ein Balanceakt. Vor allem wollte ich das Gefühl des Buches vermitteln. Die Zuschauer sollten am Ende des Films genau jene emotionale Reaktion haben, die ich nach dem Lesen des Buches hatte. Trotz der zahlreichen Änderungen hoffe ich, dass der Kern dessen bestehen blieb.

teleschau: Zielt dieser Kern auch auf eine Erzählung afrikanischer Erfahrung, die ausnahmsweise nicht von außerhalb betrachtet wird?

Ejiofor: Ja, sehr. Ich wollte die Geschichte aus dem Inneren heraus verstehen. Es ist die eine Sache, Nachrichten oder eine Dokumentation zu schauen. Aber wir bekommen selten ein Verständnis davon, wie sich diese Erfahrung anfühlen muss. Dass viele Türen verschlossen bleiben, und dass Menschen alles versuchen, dass es nicht zur Hungerskatastrophe kommt. Wie sie sich selbst und ihre Familien davor schützen wollen. Das traf mich sehr. Davor hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht.

teleschau: Worüber genau?

Ejiofor: Darüber, was eine ausgefallene Ernte eigentlich bedeutet. Darüber, dass man gerade noch ein volles Lager mit Weizen hat - sich aber ausrechnet, dass es in sechs Monaten nicht mehr reichen wird. Darüber, wie sich das wohl anfühlt für die Menschen - und wie sie darauf reagieren. Das war für mich auf eine Weise sehr faszinierend. Zu sehen, wie und warum immer wieder alles schiefläuft. Und dass ich in einer ähnlichen Situation wohl genau dieselben Entscheidungen treffen würde. Die Zuschauer sollen sich wie bei "Alice im Wunderland" tief in den Kaninchentunnel begeben.

"Wer profitiert davon?"

teleschau: Wann trafen Sie erstmals auf William?

Ejiofor: Nachdem ich das Buch las, versuchte ich, an die Rechte zu gelangen. Wir telefonierten und organisierten. Und dann reiste ich 2010 nach Malawi, um ihn und seine Familie zu treffen. Damals wollte ich den Ort persönlich kennenlernen, auch außerhalb der Geschichte aus dem Buch.

teleschau: Änderte sich durch die Besuche in Malawi Ihr Verhältnis zum afrikanischen Kontinent?

Ejiofor: Ich besuchte schon viele Länder Afrikas - unter vielen verschiedenen Umständen. An Williams Story mochte ich besonders, dass es wie eine sehr authentische Repräsentation ländlichen Lebens wirkte, die ich mit meinen Erfahrungen in Westafrika verknüpfen konnte. Ich nahm Ähnlichkeiten zum ländlichen Leben in Nigeria wahr, das ich von meiner Familie kenne, die ich gelegentlich auf dem Land besuche. Aber natürlich ist es in Malawi zugleich völlig anders.

teleschau: Inwiefern?

Ejiofor: Es herrscht eine völlig andere kulturelle Dynamik. In Malawi existiert eine besonders spezielle, sehr reichhaltige kulturelle Schönheit - etwa die spirituellen Tänze, die man im Film sieht. Das gibt es woanders so nicht. Zuvor hatte ich bereits den Kongo und Ghana bereist, der sich davon wiederum sehr unterscheidet. So bekam ich ein Gespür für die unterschiedlichen Orte. Dies half mir zu verstehen: Es gibt keine einheitliche afrikanische Identität.

teleschau: Wie wichtig war es Ihnen, dass Ihr Regiedebüt in einem afrikanischen Land spielt?

Ejiofor: Es war vor allem in der Hinsicht wichtig, dass mich der Themenkomplex schon länger beschäftigte. Für mich fühlte es sich so an, als müsste ich darüber reden - und meinen eigenen Gedanken Ausdruck zu verleihen.

teleschau: Ist es in dieser Hinsicht auch ein politischer Film?

Ejiofor: Klar, zumal ja alles auf der wahren Begebenheit basiert. Auch die im Film beschriebene Auswirkung des Klimawandels auf die Ernte ist real. Diese Communities, wie in Malawi, spüren das, was die westlichen Gesellschaften zu verantworten haben, zuerst. Und irgendwann stehen sie eben vor unserer Tür. Auch die Hungersnot in Malawi basierte auf globalen ökonomischen Entscheidungen, etwa in Bezug auf die Weizenpreise. Andere politische Verhältnisse waren mir völlig neu.

teleschau: Zum Beispiel?

Ejiofor: Etwa das ein Präsident bei einem Wahlkampf auftritt und unliebsame Gegner dort zusammenschlagen lässt. Das ist nicht unbedingt ein westliches Konzept. Und darin liegt auch ein enormes Potenzial für den Film, eine gigantische, narrativ noch nicht ausgelotete Landschaft von großer Relevanz - auch für den westlichen Diskurs.

teleschau: Im Film wird der westliche Blick auch implizit kritisiert.

Ejiofor: Dabei ging es um die postkoloniale Idee, dass man westliche Demokratie in eine bestimmte Gesellschaft verpflanzen könnte - und sich damit automatisch alle anderen Probleme lösen würden. Wer profitiert davon? Es gibt in liberalen Demokratien grandiose Ideen - die aber sehr einfach korrumpiert werden können. Zumal: Die Grenzen der Demokratie sind auch im Westen mittlerweile zum Thema geworden. Man blicke auf den Brexit: Es ist eine demokratische Entscheidung, auch wenn viele das schrecklich finden. Wenn die Mehrheit demokratisch etwas wählt, das unvorhersehbare strukturelle Folgen haben kann - wie balanciert man das aus?

Von Maximilian Haase

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