Anneke Kim Sarnau im Interview
"Bei Ungerechtigkeiten kann ich schwer meinen Mund halten"
Knapp 3.000 Menschen leben in der kleinen Gemeinde Klein Offenseth-Sparrieshoop nahe Elmshorn in Schleswig-Holstein. Ihre wohl berühmteste Bewohnerin hat das Örtchen mittlerweile an die Großstadt, an Berlin, verloren: Anneke Kim Sarnau. Die 47-Jährige ist vor allem für ihre Rolle als Katrin König im Rostocker "Polizeiruf 110" bekannt, wo sie an der Seite von Charly Hübner seit 2010 auf Verbrecherjagd geht. Dort weist sie mit unkonventionellen Ermittlungsmethoden Verbrecher in die Schranken und vertritt klare Ideale. Auch in ihrer neuen TV-Rolle in dder ZDF-Tragikkomödie "Endlich Witwer" (Montag, 13. Mai, 20.15 Uhr) ist Anneke Kim Sarnau um klare Worte nicht verlegen. Im Interview verrät die Zweifachmama, warum sie nicht stillhalten kann, wenn sie etwas auf die Palme bringt. Außerdem spricht sie über das Älterwerden, über ungerechte Bezahlung und ein ganz besonderes Familienmitglied.

teleschau: Vielen Ihrer Figuren liegt die Attitüde zugrunde, geradeheraus die Meinung zu sagen. Charakterisiert Sie diese Eigenschaft auch privat?

Anneke Kim Sarnau: In bestimmten Situationen kann ich schwer meinen Mund halten, bei Ungerechtigkeiten oder Sachen, die für mich nicht in Ordnung sind. Die treiben mich dann so um, dass ich etwas sagen muss. Manchmal kommt dann auch unzivilisierter Kram raus.

teleschau: Eckt man mit dieser Art nicht zwangsläufig an?

Sarnau: Gute Frage. Eventuell wäre mein Berufsleben anders verlaufen, wenn ich etwas braver gewesen wäre. Aber wir sind alle Menschen, und ich finde, man muss sich auf Augenhöhe begegnen. Vielleicht hat mich das manchmal schon in Teufelsküche gebracht, ich weiß es nicht.

teleschau: Sie haben lange dafür gekämpft, beim "Polizeiruf 110" die gleiche Gage zu bekommen wie Ihr Kollege Charly Hübner.

Sarnau: Ich fühle mich da den anderen Kolleginnen und allen arbeitenden Frauen und Hausfrauen gegenüber verpflichtet. Ich äußere das öffentlich, weil ich das bodenlos ungerecht und asozial finde. Wir sorgen stets als Mama für unsere Kinder, dann müssen wir arbeiten und Geld verdienen, und dann sollen wir da noch weniger Gage bekommen?

Sarnau: Was macht Sie daran so wütend?

teleschau: Ich verstehe nicht, dass ich mit einem Kollegen im selben Format die Hauptrollen verkörpere, aber wir nicht gleich entlohnt werden. Es gibt Kamerafrauen, die machen eine tolle Arbeit und drehen 90-Minüter und Kinofilme, kriegen teilweise aber nur ein Drittel der Gage ihrer männlichen Kollegen. Das schreit zum Himmel!

"Da ist das wilde Leben erst losgegangen"

teleschau: Wären Sie in letzter Konsequenz so weit gegangen, beim "Polizeiruf" auszusteigen?

Sarnau: Ja, klar. Man kann nicht um jeden Preis alles mitmachen - selbst wenn ich dieses sichere Einkommen nicht hätte, das mich und meine Kinder ernährt.

teleschau: Haben Sie das Gefühl, mit Ihrem Engagement etwas angestoßen zu haben?

Sarnau: Darum ging es mir gar nicht, mir ging es um das Format, das wir beide tragen. Ich weiß nicht, ob ich damit etwas angestoßen habe. Aber ich weiß, dass ich darauf regelmäßig angesprochen werde und dass es insgesamt bei uns allen ein großes Thema ist. Insgesamt gibt es gerade eine Kultur der Diskussion, und #MeToo hat vieles angestoßen.

teleschau: In welcher Form hat bereits ein Umdenken eingesetzt?

Sarnau: Man hat gemerkt, es geht nicht, dass hauptsächlich Männer die Hauptrollen spielen. Oder dass Geschichten von Frauen über 40 nicht mehr erzählt werden. Das ist langweilig und muss sich einfach ändern. Nachdem ich 40 geworden bin, sind bei mir die krassesten Dinge passiert. Da ist das wilde Leben erst losgegangen. Da gibt es so viele verrückte Geschichten zu erzählen.

Respekt vor dem Älterwerden

teleschau: In "Endlich Witwer" steht ein Mann im Mittelpunkt, der nach dem Tod seiner Frau nicht mehr weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll und sehr verbittert ist. Haben Sie Angst, dass sich bei Ihnen ähnliche Symptome zeigen, wenn Sie älter werden?

Sarnau: Älterwerden - eine ganz tolle Erfindung. (lacht) Aber nein, ich glaube nicht. Ich hoffe auch, dass ich rechtzeitig von irgendwelchen Freundinnen aufmerksam gemacht werde und die dann sagen: "Du wirkst wie eine verbitterte alte Lady." Aber es gab durchaus Phasen in meinem Leben, in denen ich Verbitterung gespürt habe, weil es beruflich nicht so vorwärtsging. Im Großen und Ganzen besteht aber diese Gefahr bei mir nicht, auch wenn ich großen Respekt vor dem Älterwerden habe.

teleschau: Wie äußert sich dieser Respekt?

Sarnau: Ich sehe es an meinen Eltern. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, dann hat man endlich irgendwann frei. Man könnte reisen, sich weiterbilden und gut leben. Aber dann krachen so körperliche Sachen rein. Ich würde mir für die Gesellschaft auch wünschen, dass ältere Menschen ganz anders integriert werden.

teleschau: An welche Möglichkeiten denken Sie?

Sarnau: Es sollte selbstverständlich werden, dass Kinder einmal in der Woche in Altersheime gehen und mit älteren Menschen zusammen sind. Außerdem sollten die Leute, die in den Heimen arbeiten, so entlohnt werden, dass sie nicht nahe am Burnout sind. Genauso wie mit den Alten umgegangen wird, muss auch mit den Kindern umgegangen werden. Der Beruf des Lehrers und des Erziehers muss wieder attraktiver werden. Eine Gesellschaft zeichnet sich letztlich dadurch aus, wie sie mit ihren Alten und Jungen umgeht. Das ist der Spiegel der Gesellschaft.

"Irgendwann kam es einer Reizüberflutung gleich"

teleschau: Ende der 90er-Jahre hatten Sie nach Ihrem Engagement am Wiener Burgtheater eine berufliche Durststrecke und jobbten als Kellnerin. Dachten Sie daran, mit der Schauspielerei aufzuhören?

Sarnau: Nein, ich wusste immer, dass ich weiter schauspielern würde. Das ist in mir drin. Ich muss Rollen spielen und etwas zeigen.

teleschau: Woher kommt dieser Drang, sich zu zeigen?

Sarnau: Vielleicht liegt mir das im Blut, und vielleicht ist es auch eine Überlebensstrategie. Als Kind und junger Mensch konnte ich mich immer sehr schlecht ausdrücken. Ich hatte sehr viele Emotionen und wusste nicht, wie ich die in Worte ummünzen soll. Ich bin in keiner Umgebung groß geworden, in der darüber viel kommuniziert wurde. Bestimmte Sachen wurden einfach nicht besprochen. Ich fand es sehr schwer, eine Stimme dafür zu finden, was in mir vorgeht. Die Rollen haben mir die Möglichkeit gegeben, die vielen Emotionen in Worte zu packen. Dort kann ich Emotionen rauslassen. Ich habe einfach ein irres Potenzial, und das muss irgendwie ausgelebt werden.

teleschau: Sie haben sehr früh in Ihrer Karriere Preise gewonnen, etwa den Grimme-Preis und den Deutschen Fernsehpreis. Wie hat es sich angefühlt, in so kurzer Zeit von der Kellnerin zu einer gefeierten Schauspielerin aufzusteigen?

Sarnau: Es war total abgefahren. Aber auch gut, weil ich davor das Gefühl hatte, lange Jahre vor mich hingekrebst zu haben. Ich war bereit, entdeckt zu werden und Rollen zu spielen. Nicht unbedingt, um berühmt zu werden und von jedem erkannt zu werden, sondern um die Rollen zu kriegen und zu probieren, was ich kann. Es war eine wilde Zeit. Wir haben viel gefeiert und viel Spaß gehabt. Irgendwann kam es sogar einer Reizüberflutung gleich.

teleschau: Was hilft Ihnen, diese Reizüberflutung zu kanalisieren?

Sarnau: Ich habe ein kleines Häuschen auf dem Land in Mecklenburg gemietet und kann mich dorthin zurückzuziehen. Dort kann ich runterkommen. Überhaupt die Natur in Norddeutschland, das Meer! Ich gehe am Strand durch den Sand, und allein das entschleunigt. Der Wind, der um einen rumweht, bläst einem den Kopf frei. Das Meer rauscht einem die Gedanken weg. Danach hat man nur noch Hunger, Bock zu pennen und ist so leer. Mehr brauche ich nicht.

"Abends heizen da die Vollhonks Rennen"

teleschau: Ihre zwei Kinder wachsen in der Großstadt in Berlin auf. Was fehlt ihnen dort im Vergleich zu Ihrer Kindheit?

Sarnau: Die Freiheit, aus dem Haus zu gehen, sich frei zu bewegen und zu sagen, wir kommen wieder, wenn es dunkel wird. Deswegen habe ich dieses Häuschen auf dem Land, damit sie wenigstens in den Ferien oder am Wochenende dort rumstromern und matschen können, ohne dass sie in Hundekacke treten oder dass sie überfahren werden. Ich lasse meinen Sohn - er ist Erstklässler - nicht alleine zur Schule gehen. In meinem Dorf bin ich schon nach ein paar Wochen alleine zur Schule gefahren.

teleschau: Warum ist das in Berlin nicht möglich?

Sarnau: Es ist immer so eine Sorge da in der Stadt. Meine Nachbarin wurde kürzlich an der Ampel angefahren und musste ins Krankenhaus. Ich wohne um die Ecke vom Ku'damm an einer Straße, wo abends Rennen gefahren werden. Tagsüber ist das nett, aber abends heizen da die Vollhonks Rennen.

"Wir sind Teil des Problems"

teleschau: Ihr Großonkel Hans Söhnker wurde 2018 vom Staat Israel als "Gerechter unter den Völkern" ausgezeichnet, weil er im Zweiten Weltkrieg Juden versteckte. Wie emotional war es für Sie, diese Auszeichnung entgegenzunehmen?

Sarnau: Mir sind bei der Urkundenübergabe sofort die Tränen gekommen. Das war so ein emotionaler Moment zu wissen, es werden Menschen geehrt, die anderen Leuten das Leben gerettet haben. Der Mensch, der dafür plädiert hat, dass mein Urgroßonkel diese Medaille bekommt, saß vor mir, Walter Frankenstein. Er ist unter anderem von Hans Söhnker gerettet und beschützt worden. Wenn ich an seine Geschichte und die seiner Familie denke, bekomme ich direkt Gänsehaut. Wenn man weiß, dass so viele Menschen von der Hilfe anderer abhängig waren, ist das sehr berührend. Und es war so toll zu wissen, so jemanden in meiner Familie zu haben und keinen fiesen SS-Schergen.

teleschau: Relativiert eine solche Reise in die schreckliche Vergangenheit viele Probleme der heutigen Zeit?

Sarnau: Es relativiert vieles im alltäglichen Leben. Aber nicht die Probleme, die spätestens mit der Flüchtlingskrise ins Bewusstsein rückten. Es gibt so viele Leute, die auf der Flucht sind und gerettet werden müssen. Wir müssen lernen, besser damit umzugehen, weil es nicht von heute auf morgen aufhören wird. Wir sind Teil des Problems, weil unser Land unfassbar viele Waffen in die Welt liefert und gleichzeitig nicht hilft, dass die politische Situation in vielen Ländern besser wird. Auch Rechtsradikalismus findet weiter statt. Dass Menschen geehrt werden und dass es Gedenkstätten und Mahnmale gibt, soll zeigen: Es darf nicht noch einmal passieren, und es muss im Bewusstsein bleiben.

Von Julian Weinberger

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