"Das geheime Leben der Bäume"
Filmbewertung: überzeugend
Starttermin: 23.01.2020
Regisseur: Jörg Adolph/Jan Haft
Entstehungszeitraum: 2019
Land: D
Freigabealter: 0
Verleih: Constantin Film Verleih
Laufzeit: 101 Min.
Peter Wohlleben im Interview
"Der Wald erinnert uns daran, wo wir herkommen"
"Das geheime Leben der Bäume" von Peter Wohlleben ist eines der erfolgreichsten Sachbücher der vergangenen Jahre. In mehr als 40 Sprachen wurde das Werk bereits übersetzt, die Botschaft aber ist immer dieselbe: Bäume sind Lebewesen, versorgen sich gegenseitig und müssen geschützt werden. Am 23. Januar startet die Dokumentation zum Buch in den deutschen Kinos. In "Das geheime Leben der Bäume" nimmt Wohlleben den Zuschauer mit zu einer Reise in unsere Wälder, zeigt die Gefahren auf, die den hiesigen Bäumen drohen, und erklärt, wie das System Wald funktioniert. Auch die Arbeit von Wohlleben selbst steht im Mittelpunkt des Films. Nachdem der heute 56-Jährige seinen Job als Förster auf Lebenszeit gekündigt hat, ist er nun für seine "Waldakademie" tätig, wo er Fortbildungen und Seminaren rund um das Thema Wald gibt. Im Interview verrät Peter Wohlleben, wie es um unserem heimischen Wald steht, warum viele Menschen sich unter Bäumen bestatten lassen wollen und wieso der Klimawandel für uns verheerender ist als für die Natur.

teleschau: Herr Wohlleben, Förster ist ein eher ungewöhnlicher Beruf. Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Peter Wohlleben: Ich wollte schon als kleines Kind Naturschützer werden. Nach der Schule stand natürlich die Überlegung, was man nun machen soll. Für Biologie hatte ich sogar einen Studienplatz, bin dann aber auf ein Angebot bei der Forstverwaltung gestoßen. In meiner naiven Vorstellung war ein Förster so etwas wie ein Waldhüter. Hinterher habe ich dann gemerkt: Eigentlich ist ein Förster eher ein Holzproduzent.

teleschau: Wie geht es unseren heimischen Wäldern denn?

Wohlleben: Unseren heimischen Wäldern, sofern es sie noch gibt, geht es gut. Was wir fälschlicherweise oft als heimischen Wald bezeichnen, sind eigentlich Plantagen. Es werden häufig nordische Nadelbäume säuberlich in Reih und Glied angepflanzt. Denen wird es durch den Klimawandel einfach zu heiß. Wenn die Bäume durch Hitze unter Stress stehen, können sie sich gegen Schädlinge wie den Borkenkäfer nicht mehr wehren.

teleschau: Bäume brauchen lange zum Wachsen. Also sind das Fehler, die schon vor vielen Jahren gemacht wurden?

Wohlleben: Die Fehler werden bis heute gemacht. Noch immer werden riesige Nadelholzplantagen angelegt. Man verwendet vielleicht statt Fichte und Kiefer die nordamerikanische Douglasie, die aber auch nicht besser ist. Die Forstwirtschaft lernt nur sehr langsam dazu.

teleschau: Wie sahen denn die richtigen Urwälder aus, die vor Jahrhunderten eine große Fläche Deutschlands bedeckt haben?

Wohlleben: Unsere heimischen Urwälder bestanden zu 98 Prozent aus Laubbäumen. Selbst der Bayerische Wald, der Schwarzwald und die Wälder im Harz waren Laub-Urwälder. In Wäldern, die unseren Urwäldern noch ähnlich sind, ist es laut aktuellen Studien im Sommer 15 Grad kälter als in der Innenstadt von Berlin. Die Bäume verdunsten gemeinsam Wasser und kühlen so ihre Umgebung ab. Das ist eine gute Botschaft, dass der Wald die Folgen des Klimawandels sehr stark abpuffern kann. Dafür müssen wir ihn aber wachsen lassen.

"Die Natur können wir nicht kaputtmachen"

teleschau: Sie sagen in Ihrem Film, dass die Natur immer wieder zurückkommt. Heißt das, wir müssen uns über den Klimawandel keine Sorgen machen?

Wohlleben: Doch, wir sollten uns Sorgen machen, und zwar um uns selber: Wir zerstören unsere Lebensgrundlage. Die Natur können wir nicht kaputtmachen. Natürlich können wir einzelne Arten ausrotten, aber die Natur als System kriegen wir nicht klein. Ein gutes Beispiel dafür ist Tschernobyl. Der Wald hat sich dort über die verfallenen Häuser ausgebreitet. Wenn wir jetzt weiter so stark Treibhausgase emittieren, dann werden wir unser Ökosystem zu stark schädigen, um uns zu versorgen.

teleschau: Das heißt, der Klimawandel trifft uns und die tierische Vielfalt unseres Planeten viel stärker als unsere Wälder?

Wohlleben: Das ist der Punkt. Die Frage ist natürlich, über welche Zeiträume man das betrachtet. Wenn man jetzt in Millionen Jahren denkt, ist die Menschheit im Vergleich zur Natur nichts. Wir sind nur ein kurzer Augenaufschlag in der Geschichte der Erde. Wir sollten uns über unsere eigene Lebensspanne Sorgen machen. Ich verstehe Menschen nicht, die sagen: "Ich möchte mich nicht so stark einschränken." Denn diese Einschränkungen kommen automatisch, wenn wir nicht auf die Bremse treten. Tut man etwas für den Umweltschutz, kann das ja unglaublich positiv sein. Alles, was man für die Umwelt tut, tut man auch für sich.

teleschau: Können Sie sich, wenn Sie in den Wald gehen, überhaupt noch entspannen? Oder kriegen Sie dann gleich den professionellen "Försterblick" auf Ihre Umgebung?

Wohlleben: Das kommt darauf an, wo ich unterwegs bin. Wir haben rund um die Waldakademie alte Laubwälder, die durch eines unserer eigenen Projekte geschützt werden. Da kann ich mich entspannen, denn denen geht es gut. In anderen Wäldern kann so ein Waldspaziergang sehr anstrengend werden, da ich sehe, was dort falsch gemacht wird, und das wird von mir auch dementsprechend kommentiert (lacht). Dann ist es für meine Begleiter nicht mehr so entspannend.

"Der Wald ist ein großer Sozialverband"

teleschau: Was war die faszinierendste Entdeckung, die Sie bei Ihren Recherchen für "Das geheime Leben der Bäume" gemacht haben?

Wohlleben: Das Faszinierendste war der Stumpf eines Baumes, der schon vor circa 500 Jahren abgeholzt wurde und der ohne ein grünes Blatt immer noch weiterlebt. Die einzige mögliche Erklärung, die mittlerweile auch wissenschaftlich bestätigt ist, besagt, dass die Nachbarbäume den Stumpf mit Zuckerlösung über die Wurzeln mitversorgen. In meinem Studium hatte ich gelernt, dass Bäume Konkurrenten seien und der Förster mit der Motorsäge als Schiedsrichter auftritt und die beiden im Zweifelsfall trennt. Doch in Wirklichkeit ist ein Wald ein großer Sozialverband.

teleschau: Ein Teil der von Ihnen betreuten Buchenwälder ist nun ein sogenannter Ruheforst. Dort lassen sich Menschen unter Bäumen bestatten ...

Wohlleben: Das findet tatsächlich so viel Anklang, dass wir momentan ein weiteres Projekt namens "Traumwald" umsetzen. Es ist eine tolle Möglichkeit, Wald zu schützen. In dem neuen "Traumwald" darf nichts gefällt werden. Das ist im doppelten Sinne schön: Zum einen schützt man über den Tod hinaus alte Bäume, und zweitens hat es eine tolle Symbolik, dass man zum Kreislauf der Natur im Tod wieder zurückfindet.

teleschau: Wo sehen Sie allgemein den Grund für die große Faszination der Menschen gegenüber dem Wald?

Wohlleben: Man könnte ja meinen, das wäre eine neue Romantik, die da entflammt wird. Aber in Wirklichkeit haben die von den Bäumen abgesonderten Stoffe eine Wirkung auf uns: Der Blutdruck wird gesenkt. In Deutschland gibt es bereits eine universitäre Ausbildung zum Waldtherapeuten. Der Wald ist unser ursprüngliches Zuhause. Wir erinnern uns daran, wo wir herkommen.

teleschau: Ist das auch ein Grund, warum wir Bäume auch in Städten pflanzen?

Wohlleben: Bäume haben auch Einfluss auf unsere Lebenserwartung: Eine universitäre Untersuchung aus Toronto besagt, dass in Wohnvierteln mit mindestens 20 Bäumen statistisch gesehen die Lebensdauer eines Menschen mehr als ein Jahr höher ist als in baumlosen Wohnvierteln.

"Für Bäume ist die Stadt ein hartes Pflaster"

teleschau: Unsere Lebenserwartung nimmt zu, doch die der Bäume nimmt in der Stadt stark ab. Woran liegt das?

Wohlleben: Für Bäume ist die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes ein hartes Pflaster. Sie können sich schlechter im Erdboden verwurzeln. Auf der anderen Seite ist die Wahrscheinlichkeit, dass im Wald aus einem Samen ein erwachsener Baum wird, eins zu zwei Millionen. Somit eröffnet die Stadt für viele Bäume, die nicht im Wald wachsen konnten, eine Chance: Sie dürfen immerhin erwachsen werden.

teleschau: Inzwischen haben Sie neben Ihren Sachbüchern auch einige Kinderbücher veröffentlicht. Inwiefern ist es gerade für die jungen Generationen wichtig, früh in Berührung mit der Natur zu kommen?

Wohlleben: Mein persönlicher Ansatz ist: Es soll Spaß machen. Mit Kindern durch den Wald zu gehen, ist einfach eine Freude. Für Kinder sind die ganzen Beziehungen zwischen Bäumen selbstverständlich, der Wald wird zu einem Abenteuerland. Seit über 20 Jahren veranstalte ich Kinderführungen, und das ist für mich immer ein Highlight.

teleschau: Unsere Zeit ist sehr schnelllebig geworden. Das steht ja ganz im Gegensatz zum Wald, dessen Bäume Tausende Jahre alt werden können ...

Wohlleben: Das gefühlte Leben ist immer eine Aneinanderreihung von Erlebnissen. Es ist bekannt, dass das Zeitempfinden davon abhängt, wie viele Sachen man erlebt. Wenn Sie Ihr Leben immer gleich gestalten, dann verrauscht das Leben ziemlich flott. Unterschiedlich gestaltet, kommt das Leben einem sehr lang vor. Bäume erleben im Vergleich zu uns viel weniger, dafür leben sie bis zu 10.000 Jahre. Für Bäume ist das Leben wahrscheinlich gefühlt nicht länger als für uns Menschen.

Von Rika Sturm

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