Gojko Mitić wird 80
Mehr als der "Winnetou des Ostens"
"Ein Wigwam steht in Babelsberg", sang die Band Express im Jahr 1973. Zwei Jahre zuvor hatte Erich Honecker das höchste Amt der DDR übernommen, die Wende war noch in weiter Ferne und das Land der Wigwams für Bürger des Arbeiter- und Bauernstaates unerreichbar. So war es an der Filmproduktionsstätte in Potsdam-Babelsberg, die Weite der amerikanischen Prärie zumindest in die Kinosäle der Republik zu bringen - selbstverständlich nicht aus Sicht der westlichen Eroberer, sondern mit Blick auf den Befreiungskampf der eingeborenen Native Americans, die damals noch Indianer genannt wurden. Geprägt wurde jene Ost-Perspektive auf die Ureinwohner fast ausschließlich von einem Mann: Gojko Mitić, geboren 1940 im damaligen Königreich Jugoslawien, brachte dem Osten den Wilden Westen nahe - und wurde damit zum Star.

Seine Popularität als Haupt- und Häuptlingsdarsteller in zahlreichen DEFA-Indianerfilmen bescherte ihm in der DDR einen ähnlichen Status wie "Winnetou" Pierre Brice im Westen. Und doch war der heute in Berlin lebende Schauspieler immer mehr als nur "DEFA-Oberindianer". Am 13. Juni vollendet Mitić, dem die 1989 aufgelöste Gruppe Express einst ihren Song widmete, sein 80. Lebensjahr.

Geboren wurde Mitić - der Vater Partisanenkämpfer - mitten im Zweiten Weltkrieg im heutigen Serbien, er wuchs bei den Großeltern auf und lernte in der Schule früh Deutsch. Erste Berührung mit dem Film gab es an der Sporthochschule in Belgrad, wo man den Sportstudenten Anfang der 60er-Jahre als Stuntman castete - und von seiner körperlichen Fitness begeistert war. Schon bald wurde der Grundstein für seine Karriere gelegt: Bereits im westdeutschen Klassiker "Old Shatterhand" übernahm der junge Darsteller 1963 eine Kleinstrolle, es folgten Parts im zweiten und dritten "Winnetou"-Film sowie in "Unter Geiern" als Häuptlingssohn Wokadeh. Mitićs Laufbahn begann, so kann man sagen, beim West-Film, der damals das im Vergleich zum restlichen Ostblock recht offene Jugoslawien als ökonomisch und landschaftlich reizvolles Westernland entdeckte. Mitte der 60er-Jahre sprang auch die DEFA auf den Indianer-Zug auf - ebenfalls in Jugoslawien.

Seine erste Hauptrolle spielte Mitić 1966 als Lakota-Häuptling Tokei-ihto in "Die Söhne der großen Bärin". Fortan drehte der markante Jugoslawe bis 1975 jährlich mindestens einen Film für die DEFA und wurde dadurch in der DDR schnell zur Berühmtheit und zum Helden ganzer Generationen - auch, weil er vermutlich alle Stunts selbst vollführte. Fiktive Charaktere verkörperte Mitić ebenso wie historische Häuptlinge der Native Americans wie den Mohikaner Chingachgook (1967), den Apachen Ulzana (1973 und 1974) und den Shoshonen Shavehead (1970). "Präriejäger in Mexiko" wurde 1988 zu seinem letzten Indianerfilm für das DDR-Fernsehen.

Nicht nur Indianer

Ganz ähnlich wie Brice als Winnetou in der alten BRD, weckte auch Mitić mit seinen Rollen den Wunsch nach Freiheit, ursprünglicher Wildnis und Einklang mit der Natur - ganz gegensätzlich zur strengen Ordnung und zur fehlenden Reisefreiheit der DDR. Die deutsche Verklärung der Indigenen, die ihren Ursprung in den Geschichten Karl Mays hatte, wurde auch im Osten fortgesetzt - nur dass hier "der Indianer" nicht nur als edel und wild interpretiert wurde, sondern auch als Symbol für den Kampf gegen den Kolonialismus. Cowboys waren entsprechend (fast) immer die Bösen.

Mit dem Westen gemein hatten die DEFA-Filme um Mitić allerdings, dass hüben wie drüben gehörig exotisiert wurde: Konnten die Bürger der Bundesrepublik ihre Sehnsüchte auf den Franzosen Briece projizieren, zog man auch im Osten einen Eingewanderten vor, der ein bestimmtes Ideal zu verkörpern schien. Zu weit durfte die Exotik dann aber nicht gehen: Obwohl Mitić fließend Deutsch sprach und spricht, wurden seine DEFA-Filme aufgrund des leichten Akzents immer synchronisiert.

1992, Deutschland war inzwischen vereint und Mitić deutscher Staatsbürger, übernahm der Wahlberliner erstmals selbst die Rolle des Winnetou - allerdings nicht im Film, sondern bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg als Nachfolger von Pierre Brice. 15 Jahre lang sollte Mitić in 1024 Aufführungen den berühmtesten fiktiven Indianer verkörpern - und auch dem Westpublikum bekannt werden. 2014 gab es dann ein großes Comeback in Bad Segeberg: Gojko Mitić spielte Winnetous Vater Intschu tschuna. Das Dasein als Indianer-Darsteller ließ ihn nie wirklich los - auch im Fernsehen gab er in den letzten Jahren bisweilen noch den Häuptling ("In einem wilden Land", 2013) und abermals Winnetous Erzeuger ("Winnetou - Eine neue Welt", 2016), vor allem aber befindet er sich stets in engem Kontakt mit seiner Fanszene und etwa dem Karl-May-Theaterclub "Gojko Mitić".

Und doch war Gojko Mitić, der das ihm zugeschriebene Indianer-Bild anscheinend gern annahm, immer mehr als "nur" der "Winnetou des Ostens". Am Theater begeisterte der Schauspieler schon 1973 als Spartacus (Bergtheater Thale) und war Darsteller zahlreicher, auch im DDR-Fernsehen gezeigter, weiterer Abenteuerstücke. Er drehte Science-Fiction-Filme wie "Signale", spielte in Serien wie "Front ohne Gnade" - und verfasste die Kinderserie "Jan und Tini", bei der er zwischen 1981 und 1989 zudem Regie führte. Doch auch abseits des Films geriet Mitić zum Darling der DDR-Popkultur, betätigte sich etwa als Sänger ("Löscht das Feuer", 1977) sowie als Moderator beliebter DDR-Shows wie "Ein Kessel Buntes" und "Gong". Für sein filmisches Lebenswerk wurde er im Dezember 2019 mit dem Preis der DEFA-Stiftung prämiert, 2004 bereits benannte man gar einen Asteroiden nach ihm ("147595 Gojkomitić").

"Gojko, Gojko, wie wir mit dir fühl'n / Bitte lass doch einmal deine Muskeln spiel'n / bitte lass doch einmal deine Fäuste los / Gojko, Gojko, Gojko, du bist ganz groß", sangen Express 1973 in "Ein Wigwam steht in Babelsberg". Der längst vergessene Hit, der das Mitić-Fantum in der DDR spiegelte, enthält aber auch diese Textzeile: "Und hat er mal das Kämpfen satt / kauft er sich ein Billet / und macht sich's ein paar Wochen / an der blauen Adria nett." Verdient hat sich Gojko Mitić den Ruhestand mit 80 Jahren allemal - sein Platz in der gesamtdeutschen Filmgeschichte ist ihm ebenso sicher wie jener im kollektiven Gedächtnis des Ostens.

Von Maximilian Haase

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