Rosa von Praunheim wird 80
Vom Skandalregisseur zum "Glückskind"
Aus heutiger Sicht mag man es kaum glauben, dass der Dokumentar- und Spielfilmregisseur Rosa von Praunheim einst die Welt der Bürger nahezu beliebig auf den Kopf stellen konnte. Skandale waren ihm ein geeignetes Mittel dafür. "Tod auf der Bühne" meldeten einst die Zeitungen in Schlagzeilen, und: "Filmemacher bei Kinoveranstaltung von tödlichen Kugeln getroffen". Darunter: "Der Filmemacher Rosa von Praunheim bricht während einer selbstgefälligen Rede von Kugeln getroffen auf der Bühne zusammen. Erst nach mehreren Minuten verlassen die Menschen fluchtartig den Saal." Alles erfunden und von Rosa als Zeitungsente selbst in die Welt gesetzt. Lustig ging es bei ihm, der nun, am 25. November, kaum glaubliche 80 wird, fast immer zu. Spaß bewirkt mehr als tumb-traurige Betroffenheit, so glaubte Praunheim, eine Integrationsfigur der Homosexuellen.

Mit seinem 1970 gedrehten Spielfilm "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" wurde er zu einer Ikone der Schwulenbewegung. Seine späteren Filme belegten immer wieder die Behauptung des programmatischen Widerspruchs-Titels. Homosexualität und AIDS blieben seine Themen, die anfänglich gerne verdrängt wurden. 1973 klinkte sich der BR aus der ARD-Ausstrahlung der Erlebnisse des Berliner Homosexuellen Daniel und dessen allmählicher politischer Emanzipation noch aus.

Unfreiwillige Outings und warmherzige Porträts

Auch knapp 20 Jahre später sorgte Praunheim immer wieder für Skandale, als er medienwirksame Prominente, die ihre Homosexualität nicht öffentlich machen wollten, outete wie eine Petze. Er wollte damit auf die existierende AIDS-Problematik und die Doppelmoral vieler Bürger aufmerksam machen. Die Aktion trieb ihn für geraume Zeit ins Abseits, der verspätete Erfolg scheint ihm dagegen recht zu geben.

Viel lieber als derlei Aktionen sieht man allerdings Praunheims Filme. Improvisationen, ein bewusst amateurhaft anmutender, witzvoller Stil, sind Praunheims Markenzeichen. Auf der anderen Seite stehen die Wärme, die Humanität seiner Frauenporträts, ob sie nun der Schauspielerin Lotti Huber, dem DDR-Transvestiten Charlotte von Mahlsdorf oder gar der eigenen, ihm lange unbekannt gebliebenen Mutter ("Spurensuche in Riga") gewidmet sind. Praunheim ist einfach ein genialer Filmerzähler, ein Dokumentarist, der keine zusätzlichen Erklärungen braucht. Seine Dokumentationen lassen die Grenzen zum Spielfilm vergessen.

Teeparty und "nackte Männer" zum Achtzigsten

Praunheim, der 1942 in Riga, Lettland, als Holger Radtke geboren und zur Adoption freigegeben wurde, experimentierte bereits seit den 60-ern mit Filmgenres. Sein nach Eigenaussage emotionalstes Werk jedoch drehte er jedoch erst 2015, dem Jahr, in dem er auch mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde: Simpel "Härte" nennt sich das Doku-Drama, in dem Praunheim die Autobiografie des Karateweltmeisters Andreas Marquardt inszenierte: Von seiner Kindheit, die vom elterlichen Missbrauch geprägt war, über die Karriere als Zuhälter im Berliner Rotlichtmilieu, bis zur Zeit im Knast. Im Wechsel von fiktionalen und dokumentarischen Szenen erzählen darin Marquardt und seine langjährige Lebensgefährtin Marion Erdmann von einem bewegenden Leben.

Sieben Jahre und zahlreiche Auszeichnungen (darunter der Max-Ophüls-Ehrenpreis sowie der Pink Apple Award für sein Film- und Lebenswerk) später vollendet Rosa von Praunheim nun sein 80. Lebensjahr. "Ich will weitermachen", sagte er bereits anlässlich seines 70. Geburtstags, "es gibt Filmemacher, die 100 sind." Auch heute noch scheint der Ruhestand für Praunheim in weiter Ferne zu liegen: Erst im September dieses Jahres porträtierte er den großen Rex Gildo - ohne Tabu-Denken und mit großer Tragik, versteht sich. "Rex Gildo - Der letzte Tanz" lautet der Titel von Praunheims schillerndem Dokudrama, das Spielszenen mit Zeitzeugen-Interviews und Archivmaterial kombiniert, und nebst einiger Kritik auch viel Lob erntete. "Eine rundum gelungene Dokufiction", urteilte etwa das Portal Queer.de. "Der letzte Tanz" sei ein Film, "der ab der ersten Szene Rosa von Praunheims Handschrift trägt".

Wer sich von jener "Handschrift", die ihn zweifelsohne bis heute zu einem der wichtigsten deutschen Regisseure macht, selbst überzeugen will, kann dies rechtzeitig zu Praunheims Geburtstag tun. Ab Freitag, 25. November, ist "Rex Gildo - Der letzte Tanz" in der ARD-Mediathek abrufbar. Auch ARTE würdigt den Ausnahmekünstler: In der Dokumentation "Glückskind" (25. November, 00.05 Uhr) kommen unter anderem Weggefährtinnen und Weggefährten Praunheims wie der Zeichner Ralf König, die Produzentin Regina Ziegler und der New Yorker Publizist Brandon Judell zu Wort.

Übrigens: Praunheim selbst feiert seinen Geburtstag am Freitagnachmittag in der Berliner "Galerie Mond" - mit einer Teeparty und einer Präsentation seiner Ausstellung "Nackte Männer - Nackte Tiere".

Von Jasmin Herzog

Impressum

Das Kinomodul der teleschau verbindet hochwertige Kritiken, Interviews, News und Trailer mit regionalen Kinodaten.

Die technische und inhaltliche Pflege übernimmt teleschau für Sie. Wir freuen uns über Ihre Kontaktaufnahme:

teleschau - der mediendienst GmbH
Landsberger Straße 336
D-80687 München
Tel.: +49/89/143419-0
marketing@teleschau.de
Web: http://www.teleschau.de
Impressum: Impressum