Irrational Man
Filmbewertung: überzeugend
Starttermin: 12.11.2015
Regisseur: Woody Allen
Schauspieler: Joaquin Phoenix, Emma Stone, Jamie Blackley
Entstehungszeitraum: 2015
Land: USA
Freigabealter: 12
Verleih: Warner
Laufzeit: 95 Min.
Existenzialistischer Querschnitt
"Ich habe jede Sekunde bereut, seit ich eingewilligt habe", gestand Woody Allen im Frühjahr mit Blick auf seine Amazon-Kollaboration. Dass er für den Onlineriesen bis 2016 eine Streaming-Serie drehen soll, zerknirscht den neurotischen Altmeister: "Ich sehe nie Fernsehen. Ich verstehe also nichts davon", verriet er. Zu fern ist die postmoderne Art des Erzählens vom Kino, für das er zuverlässig und vorhersehbar alle Jahre wieder ein neues Werk kreiert. Trotz Serien-Stress macht der Arthouse-Liebling auch 2015 keine Ausnahme - und doch ist es ein besonderes Jahr: Kurz nach dem Start seines neuen Films "Irrational Man" feiert Allen nämlich seinen 80. Geburtstag. Überaus passend liefert die gelungene Tragikomödie einen erzählerischen Querschnitt durch das Œvre des Meisters - im Guten wie Schlechten.

Ganz wie die frühen, von ihm selbst verkörperten Hauptfiguren Allens, etwa in "Manhattan" (1979) oder "Der Stadtneurotiker" (1977), ist auch der Protagonist in "Irrational Man" ein getriebener, zweifelnder, sinnsuchender Intellektueller: Joaquin Phoenix schafft es einigermaßen überraschend, dem im US-Indie-Kino oft bemühten Klischee-Typus des existenzialistisch daherredenden Philosophie-Professors glaubhafte Züge zu verleihen. Abe Lucas, so der Name der Figur, quält sich als lebende Koryphäe des Fachs und einst in Krisengebieten Engagierter mit der Frage nach dem Nutzen seiner Arbeit ab.

Selbstverständlich folgt Allen trotz der zuletzt belebenden Ausflüge in "Midnight in Paris" (2011) und "Blue Jasmine" (2013) seinem seit Jahrzehnten wohlbekannten Muster in Sachen Beziehungs-Blabla: So trifft der alte Prof in seinem kleinen Uni-Städchen (als Gegenstück zu Allens sonstiger Großstadt-Affinität) auf eine junge Studentin namens Jill - verkörpert von Allens aktueller Muse Emma Stone, die ebenso herzerfrischend klug und grandios patzig auftritt wie bereits im Vorjahres-Stück "Magic in the Moonlight", an dessen langweiliger Beliebigkeit auch die 26-Jährige nichts zu ändern vermochte.

Ihre kokette Figur Jill vermag indes mit ihrem ungeheuchelten philosophischen Interesse den betrübten Zustand Abes rasch aufzuhellen. Zunächst geht das noch recht platonisch vonstatten - mit auch für den Zuschauer erheiternden Gesprächen, die von Kant bis Kierkegaard ganz im Geiste des 70er-Jahre-Allens ein ironisch angedeutetes akademisches Bonmot nach dem anderen streuen. Bald schon möchte die junge Intellektuelle jedoch mehr von ihrem Professor, der die eindeutigen Liebes-Avancen zunächst ablehnt.

Wie in seinem Spätwerk nun schon des Öfteren - so auch im Vorjahresfilm - findet Allen in "Irrational Man" zu einer frischeren, emanzipierteren Version der langweiligen Herrenfantasie vom alten Mann und dem jungen unschuldigen Mädchen: Wenn Letztere in Gestalt Jills nämlich den aktiven Part übernimmt, kommt der von seiner Verehrerin überraschte Denker gar nicht erst dazu, seine Studentin zu verführen. Und, umso besser: begreift sie nicht als Muse, die ihm aus einer finsteren Midlife-Crisis helfen soll.

Das schafft Abe und damit Regisseur Allen nämlich auf eine ganz andere Art, die schon Filme wie "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" (1989), "Schmalspurganoven" (2000) aber vor allem die düsterere europäische Phase von "Match Point" (2005) bis "Cassandras Traum" (2007) prägte: mit einem Verbrechen, einem Mord, einem Schuldigwerden. Jenen Ansatz, der Allen immer gut stand, vermisste man in den Seichtheiten der letzten Filme. In "Irrational Man" kommt er in der titelgebenden Irrationalität der Hauptfigur wieder zum Vorschein: Abe will einen Mann umbringen.

Nicht irgendeinen jedoch: Um seinem Leben wieder einen Sinn zu verleihen - und zugegebenermaßen auch, um seine Erektionsprobleme zu überwinden - will Abe einen als Fiesling in Szene gesetzten Richter ermorden, der einer armen Frau unverdientermaßen das Sorgerecht für ihr Kind aberkennen möchte. Wie Allen anhand der Thematisierung des "ethisch richtigen Verbrechens" grundlegende existenzialistische Fragen und psychologische Muster diskutiert, ist bravourös.

Im Gegensatz zu ungefähr der Hälfte seiner Werke - die sich im Übrigen schnell auch als die mittelmäßigen 50 Prozent identifizieren lassen - zieht Allen in "Irrational Man" den Spannungsbogen nicht aus der Liebesaffäre als solcher. Vielmehr strauchelt er sich dank eines erhabenen Drehbuchs, begabter Darsteller und seinem herausragenden Händchen für den tragischen Witz durch eine unterhaltsame Intellektuellen-Mord-Romanze. Einzige Referenz dafür liefern mal wieder nur des Jubilars eigene Meister- und Standard-Werke.

Von Maximilian Haase

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