Verstörendes von der Berlinale: Der Esel und der Serienmörder
Ach ja, der deutsche Film. Während in den Kinos charmante und gut gemachte Produktionen wie Hape Kerkelings "Der Junge muss an die frische Luft", Michael Herbigs "Ballon" oder "100 Dinge" mit Florian David Fitz und Matthias Schweighöfer Millionen anlocken, wird's bei der Berlinale traditionell eher sperrig. Drei Filme waren es diesmal, die für das Gastgeberland im Wettbewerb um den Goldenen Bären standen. Schlagzeilen für einen Tag waren ihnen allesamt gewiss.

Da hätten wir zunächst: ein Blutbad. Dem eigenen Bekunden nach wollte der renommierte Regisseur Fatih Akin schon immer mal einen Horrorfilm drehen. Herausgekommen ist "Der goldene Handschuh", der bereits am 21. Februar in den Kinos startet. Eine eklige Schlachtplatte ist es geworden, basierend auf einer realen Geschichte. Akin erzählt von den Taten, wohlgemerkt nicht vom restlichen Leben des Hamburger Serienmörders Fritz Honka. In den Jahren nach 1970 tötete der Hilfsarbeiter im Alkoholrausch mindestens vier Gelegenheitsprostituierte fortgeschrittenen Alters. Er zerstückelte sie, versteckte die Leichenteile in seiner Wohnung und wurde am Ende nur durch einen Zufall gefasst.

Auf der Grundlage des Romans von Autor Heinz Strunk entführt Fatih Akin in seinem Film tatsächlich in eine Horrorwelt. "Der goldene Handschuh" ist ein FSK18-Gewaltrausch, der seinem Publikum viel zumutet. Da wird gesägt, onaniert, geprügelt, gesoffen und stranguliert. Kamera oder Ton oder beide sind mit dabei, wenn Fritz Honka (Jonas Dassler) sein Unwesen treibt, während im Hintergrund deutscher 70er-Jahre-Schlager läuft.

Nur mal theoretisch gefragt: Hätte diesen Film nicht Fatih Akin, sondern ein unbekannter Regisseur gedreht, wäre er dann in den Wettbewerb der Berlinale gekommen? Wohl eher nicht.

Ist das Kunst oder ..?

Ebenso polarisierend, aber aus ganz anderen Gründen war Angela Schanelecs "Ich war zuhause, aber" - ein Film, an dessen Ende die Menschen begeistert oder fassungslos den Kopf schüttelnd aus dem Berlinale-Palast gingen. Dazwischen war nichts, kein "Geht so"-Urteil, was per se schon mal gut ist für einen Festival-FIlm, der sich ganz offensichtlich zum Ziel gesetzt hat, es seinem Publikum eben nicht leicht zu machen. Es geht um einen Jungen (Jakob Lasalle), der verschwindet und dann ganz plötzlich wieder auftaucht. Und um seine alleinerziehende Mutter (Maren Eggert), die an ihre Grenzen geführt wird. Doch am Ende will der Film keine eigentliche Geschichte erzählen.

Das hier ist Kunst, kann in mancher Leute Augen weg, und in den Augen der anderen ist es eben der bunte Kern des Kinos. Angela Schanelec lässt die Kamera gefühlte Ewigkeiten auf Belanglosem verharren. Schon zu Beginn beobachtet der Zuschauer zunächst einen jagenden Hund, dann ein vermutlich fliehendes Kaninchen und schließlich einen stehenden Esel. Das dauert Minuten, bietet rückwirkend irgendwann Raum für allerlei Symbolik, ist aber vor allem eine taugliche Vorbereitung auf das, was kommt: langsames Kino, ohne echte Handlungsführung. Eine Schulklasse führt "Hamlet" auf, die Mutter kauft ein Fahrrad, Menschen ziehen im Schwimmbad ihre Bahnen. Wer Lust hat, lässt sich ein auf diesen artifiziellen Reigen, der sich fraglos an ein Festivalpublikum und eine überschaubare Schar von Kritikern richtete. Einen Starttermin hat der Film noch nicht. Das ZDF und 3sat sind Koproduzenten. Eines Tages wird er sicher auch seinen Platz im Fernsehen finden.

Der Beste der Drei

Der stärkste der drei deutschen Beiträge zum Wettbewerb trägt den provokanten, aber eben auch treffenden Titel "Systemsprenger". Eine weithin unbekannte und auch umstrittene Bezeichnung für Kinder und Jugendliche, die ob ihrer Verhaltensauffälligkeiten immer wieder durchs Raster fallen. Jungen und Mädchen, die durch die Einrichtungen gezogen werden und bei denen die Maßnahmen zur Sozialisierung nicht greifen. Die neunjährige Benni, unglaublich gut von Helena Zengel gespielt, ist ein solches Mädchen, das der Zuschauer begleitet.

Die Regisseurin und Autorin Nora Fingscheidt, die lange für ihr Spielfilmdebüt recherchierte, richtet den Blick auf den Rand der Gesellschaft, die an ihre Grenzen geführt wird. Was tun mit diesem wütenden, verzweifelten, nicht integrierbaren Mädchen, das sich doch nur nach Liebe sehnt? Das bewegende Drama gibt nicht nur dem Kind filmischen Raum, auch das Umfeld wird beleuchtet. Allen voran "Frau Bafané" vom Jugendamt, gespielt von Gabriela Maria Schmeide, aber auch Bennis hilflose Mutter (Lisa Hagmeister). Und über allem schwingt stets die Schuldfrage. Wer versagt hier? Der Pädagoge, die Eltern, die Gesellschaft an sich? Einfache Antworten gibt es nicht.

"Systemsprenger" ist ein höchst relevantes, unglaublich authentisch gespieltes Drama, das beim Publikum seine Spuren hinterlässt. Auch dieser Film hat noch keinen Kinostart-Termin. Er hätte ein großes Publikum verdient.

Wer am Ende den Goldenen und die Silbernen Bären erhält, entscheidet sich am Samstag, 16. Februar. Der Sonntag ist wie gewohnt der Berlinale Kinotag. Zahlreiche Festivalfilme aus den verschiedenen Sektionen werden in den Berlinale-Spielstätten wiederholt.

Die 69. Berlinale ist zugleich die letzte für Dieter Kosslick, der seit 2001 an der Spitze des Festivals stand. Seine Nachfolge treten Carlo Chatrian als künstlerischer Direktor und Mariette Rissenbeek als Geschäftsführerin der Internationalen Filmfestspiele Berlin an. Chatrian, geboren 1971 in Turin, leitet seit 2013 das Locarno Film Festival. Rissenbeck war Geschäftsführerin von German Films, dem Informations- und Beratungszentrum für die internationale Verbreitung deutscher Filme.

Von Kai-Oliver Derks

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