"Traut the Kraut": Ein Genickbruch machte ihn unsterblich
Peter Murphy konnte nichts dafür. Der erfahrene Kicker von Birmingham City hatte sich beim Stand von 1:3 etwa sieben Meter vor dem gegnerischen Tor in eine gute Position gebracht. Doch die Kopfballvorlage in den Raum durch den Mittelstürmer mit der Nummer 9 geriet für ihn eine Spur zu lang. Bernd Trautmann, der Torwart von Manchester City, zu dessen großen Stärken seit jeher die Strafraumbeherrschung gehörte, war aufmerksam. Und mutig wie immer. Er hechtete aus dem Tor, begrub den Ball unter sich, und Murphy setzte im gleichen Moment mit dem Fuß nach. Eine Szene, wie es sie bis heute unzählige Male im Fußball gibt. 16 Minuten waren zu diesem Zeitpunkt im FA-Cup-Finale 1956 noch zu spielen.

Es ist der Moment, als sein Genick brach, der Bernd Trautmann zur Legende machte. Hätte Murphy zurückgezogen - wer weiß, ob am 14. März trotzdem dieser Film in den deutschen Kinos starten würde. Wohl eher nicht. So aber erinnert der Regisseur Marcus H. Rosenmüller in einem aufwendig inszenierten Biopic an einen der besten Torhüter, die Deutschland dem Vernehmen nach je hatte. Und doch sprach lange Zeit kaum jemand von ihm. Was sich nun ändern könnte. Ändern sollte! Denn Trautmanns spektakuläre Geschichte ist ohne Versöhnung nicht denkbar. Und gleichsam nicht ohne die Macht des Fußballs, die bisweilen größer sein kann als jeder politische Vertrag.

Das berühmteste Genick der Fußballgeschichte

Noch im Jahr zuvor hatte Manchester City den Cup gegen Newcastle vor 100.000 Zuschauern verloren. Nun wollte Coach Leslie McDowall den Pokal endlich in den Nordwesten des Landes bringen. Mit Trautmann im Tor, der mit 33 Jahren im besten Torwartalter war und längst zu den Stützen seiner Mannschaft gehörte. Nach dem Zusammenprall stand die eigentlich beruhigende 3:1-Führung auf dem Spiel. Auswechslungen gab es zu jener Zeit noch nicht. Ein Spieler hätte ins Tor gehen, Manchester die Partie zu zehnt überstehen müssen. Trautmann wusste das natürlich, stand auf und spielte unter Schmerzen weiter.

"Es war plötzlich Nebel vor meinen Augen, alles wirkte nur noch grau. Die Spieler erkannte ich nicht mehr, sie sahen aus wie Geister." Was er nicht wusste: Er hatte sich einen Genickbruch zugezogen und fünf Halswirbel ausgerenkt. Der Tod war nahe und blieb es die folgenden 14 Minuten, in denen der Keeper noch mehrfach eingreifen musste. Hätte er geahnt, wie es um ihn stand, er wäre wohl doch aus dem Spiel gegangen, gestand Trautmann später. Womöglich auch deshalb hatte er Marcus Rosenmüller, der Trautmann vor Jahren zum Interview traf, gebeten, bloß kleinen Film über den Torwart mit dem gebrochenen Genick zu drehen. Auch weil ihn noch Jahrzehnte später alle immer wieder nur darauf ansprachen: auf das Finale, auf das Genick und darauf, dass er weiterspielte.

Rosenmüller tat ihm den Gefallen. Einige Minuten lang wird dieser Schicksalsmoment freilich doch beschrieben, übrigens szenisch exzellent und nah am Original nachgestellt. Ebenso die Zeit danach, die Monate in Gips, die Halsstütze, die bis heute im National Football Museum in Manchester ausgestellt ist. Vor allem aber hat Rosenmüller einen Film gedreht über die ersten Jahre Bernd Trautmanns in England, wo er nach Kriegsende als deutscher Soldat in Gefangenschaft war. Der Film erzählt über die ersten Auftritte des Fußballers beim Provinzclub St. Helens, dessen Direktor Jack Friar ihn im Lager entdeckte. Er erzählt über die Vorbehalte, ja den Hass, der dem Deutschen entgegenschlug, der immerhin Träger des Eisernen Kreuzes war. Und er erzählt, ziemlich lange, von der Liebe. Denn Trautmann lernte Margaret, die Tochter Friars, kennen und lieben. Es war die erste von insgesamt drei Ehen im Leben des Bernd Trautmann, was im Kino dann allerdings kein Thema mehr ist.

Ist Fußball im Kino langweilig?

"Trautmann" ist ein schöner, elegant und akribisch gemachter, liebevoller Film über die Nachkriegszeit und die Frage, wie aus Krieg wieder echter Frieden werden kann. Was es leider nicht ist: ein Fußballfilm. Auch wenn die Szenen, etwa im Augsburger Rosenau-Stadion, mit viel Hingabe nachgestellt und danach in der Postproduction zum Großevent aufbereitet wurden ... als Liebeserklärung an den Sport versteht sich "Trautmann" nicht. "Fußball", sagt Rosenmüller, sei im Kino per se "langweilig". Was stimmt, nimmt man das Spiel selbst, das natürlich dort niemals die Dramatik des echten Lebens annehmen kann. Und doch wünschte man sich etwas mehr davon.

Denn auf welchem Parkett sonst, fragt man sich, wäre so eine Geschichte möglich gewesen: dass 100.000 Engländer nur wenige Jahre nach dem Ende des Krieges einem Deutschen zujubeln. Ja, ihn verehren. Rosenmüller erklärt diesen Wandel über den Faktor "Begegnung". Er zeigt Mitspieler oder Angehörige seiner Gastfamilie, die Trautmann kennenlernen und ihn bald schon nicht mehr als Feind oder gar Nazi begreifen. Doch die abertausend im Stadion haben nie ein Wort mit ihm gewechselt. Es gab damals keine Interviews im Fernsehen. Sie hassten diesen Kraut zu Beginn, gingen auf die Straße, drohten mit Austritt aus dem Verein. Als er erstmals für ManCity auflief, hoben die Zuschauer die Hände höhnisch zum Hitlergruß.

Doch dann bat Alexander Altmann, der auch im Film vorkommt, und Rabbiner von Manchester war, per Zeitungsartikel darum, Trautmann keine Vorurteile entgegenzubringen. "Jeder muss nach seinem persönlichen Wert beurteilt werden." Die Fans taten das, was sie bis heute mit überwiegender Mehrheit in den Stadien auf der Welt tun: Sie fragten nicht mehr, wo jemand herkommt. Sie wollten sehen, wo er hin will mit seinem Verein. Wollten, dass er sich förmlich reinwirft ins Spiel und alles gibt. Und das tat Trautmann, der zeigen wollte, dass er kein Feind ist, sondern - sein O-Ton - "ein Sportsmann". In dieser Zeit flog er wie kein Zweiter durch die Liga. Mehr als 60 Prozent aller Elfmeter hielt er. Lew Jaschin, der beste Torwart aller Zeiten, urteilte: "Es gab nur zwei Weltklasse-Torhüter. Einer war Lew Jaschin, der andere war der deutsche Junge, der in Manchester spielte - Trautmann."

Freiwillig zur Luftwaffe

Die Fakten: Bernd Trautmann, den in England der einfacheren Aussprache wegen, alle Bert nannten, wurde 1923 in Bremen geboren, wo heute ein Platz nach ihm benannt ist. Mit acht Jahren begann er Fußball zu spielen, zunächst allerdings als Feldspieler. Mit zehn, es war das Jahr 1933, trat er dem Jungvolk, später der Hitlerjugend bei. Schon mit 17 meldete er sich freiwillig zur Luftwaffe. Im Krieg war er unter anderem in Polen, Russland und später in Frankreich. Nach seiner Gefangennahme wurde er ins Kriegsgefangenenlager POW Camp 50in Ashton-in-Makerfield gebracht.

Als nach drei Jahren die Rückholung in die alte Heimat anstand, lehnte er wie 20.000 andere Gefangene ab, half als Landarbeiter und begann seine Karriere als Torwart beim Provinzclub St Helens Town AFC, von wo er bald schon nach Manchester wechselte. Dass er damals nicht zurückkam, habe seine Mutter, die noch in Bremen lebte, lange nicht verstanden, berichtete Trautmann einmal. Doch dann waren seine Eltern dabei, als ManCity 1956 den Cup holte. Eingeladen von einer britischen Zeitung. Sie blieben einige Wochen und begannen die Liebe ihres Sohns zu dem Land zu begreifen.

Trautmann bestritt zwischen 1949 und 1964 insgesamt 545 Partien für Manchester City. Er wurde 1956 als zweiter ausländischer Kicker in England zum "Fußballer des Jahres" gewählt. Ein Grund dafür: Er hatte das Torwartspiel neu interpretiert, weil er den damals üblichen Abschlag zunehmend durch präzisere Abwürfe ersetzte. 1952 wäre er fast nach Schalke gewechselt, doch ManCity rief die Rekordsumme von 20.000 Pfund Sterling als Ablöse auf. Viel zu viel.

Der Sepp Herberger und die Queen

Zu seinem Abschiedsspiel kamen rund über 40.000 Zuschauer. Und es soll, erinnern sich jene, die es wissen müssen, das bis jetzt letzte Mal gewesen sein, dass Anhänger von City und Manchester United ihre Rivalität vergaßen und gemeinsam einen Spieler feierten, der auch deshalb bis heute als "Legende" in der Stadt verehrt wird. Den Namen "Trautmann" kennt im Umfeld von Manchester City jedes Kind, im Stadtmuseum findet sich ein Denkmal von ihm. Königin Elisabeth II. ernannte ihn 2004 in Anerkennung seiner Verdienste um die deutsch-britischen Beziehungen zum "Honorary Officer of the Most Excellent Order of the British Empire". Trautmann ist sowohl in der britischen als auch in der deutschen Hall of Fame verewigt. Und doch ist sein Name bis heute hierzulande nur Insidern bekannt. Ein Grund dafür heißt ... Sepp Herberger.

Der Bundestrainer, der 1954 mit der deutschen Nationalmannschaft Weltmeister wurde, hatte sich gemeinsam mit dem Verband der Vorgabe unterworfen, keine Legionäre in das deutsche Team einzuladen. Was übrigens bald nach Trautmann zu den Akten gelegt wurde. Doch sorgte diese Entscheidung dafür, dass heute jeder weiß, dass Toni Turek in den Augen des Reporters Herbert Zimmermann ein "Fußballgott" war, obwohl er gerade einmal 20 Länderspiele in seiner Karriere bestritt. Trautmann grämte sich dessen nie. Mit dem "Sepp", dem Herberger, habe er sich ausgesprochen, und es war eben, wie es war. "Auch so hätte ich nie erwartet, dass ich so viel erreichen würden", sagte Trautmann einmal und sprach dabei nicht von Titeln, sondern von fußballerischen auf der einen, von menschlichen Begegnungen auf der anderen Seite.

"Ein ganz normaler Mensch"

Ein Engländer ist Trautmann in gewisser Weise immer geblieben. Nach seiner aktiven Jahren arbeitete er als Trainer bei Stockport County und wechselte danach zurück nach Deutschland, wo er die Mannschaft von Preußen Münster (damals in der zweithöchsten Liga) übernahm. Danach fungierte er als Botschafter des deutschen Fußballs, übernahm die Nationalmannschaft Burmas ebenso wie die von Tansania. Er arbeitete in Liberia, Pakistan, Jemen und Malta, wurde eine Art Reisender in Sachen Fußball und gründete eine eigene Stiftung, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die Jugend aus Deutschland und England zueinanderzubringen. Durch den Fußball, natürlich. Bis zu seinem Tod am 19. Juli 2013 lebte er mit seiner dritten Frau in seinem Haus in der Nähe von Valancia, wo er sich dem Vernehmen nach um auch die wirklich wichtigen Dinge des Lebens kümmerte: den Wein. Bernd Trautmann wurde 89 Jahre alt.

Es sind Bücher über ihn erschienen, zahlreiche Interviews wurden geführt. Doch es war überraschenderweise eher seine englische Wahlheimat, die sich für diese Biografie interessierte. In Deutschland erfuhr er abseits der Fußballbranche erst spät eine Würdigung, 1997 erhielt der Bremer Junge das Bundesverdienstkreuz. Nun also der Film, von dem Trautmann wusste, dass er entstehen würde. Rund zehn Jahre dauerte es von der Idee bis zur Umsetzung, nachdem sich die Finanzierung kompliziert gestaltete. Doch im Jahr 2010 trafen sich der Keeper, Marcus Rosenmüller und der Ideengeber, der Produzent Robert Marciniak, zu einem mehrtägigen Interview in Spanien, in dem Trautmann aus seinem Leben berichtete.

Herausgekommen ist, man kann das mögen oder nicht, in erster Linie auch ein Boy-meets-Girl-Liebesfilm in den Wirren der Nachkriegszeiten. Mehr Fußball als Thema hätte an der Kasse ohne Frage geschadet, dem Film aber womöglich gut getan. Womöglich lag auch schon damals die Wahrheit auf dem Platz, in der Einfachheit des Spiels, das eben alle unten und auf den Tribünen vereint, die es lieben. Wenn man Bernd Trautmann fragte, wie er damals den Vorurteilen, dem Hass und der Wut begegnet sei, konnte jedenfalls eine einfache Antwort bekommen: "Ich wollte ihnen einfach zeigen, dass ich gut und gerne Fußball spiele. Und ansonsten ein ganz normaler Mensch bin."

Von Kai-Oliver Derks

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