Birgit Minichmayr im Interview
"Political Correctness kann manchmal zum Tod der Kunst führen"
Keine Frage: Birgit Minichmayr ist Burgtheaterstar mit jeder Faser ihres Körpers. Doch auch vor der Kamera erweist sich die in Pasching bei Linz geborenen Österreicherin immer wieder als eine der besten Schauspielerinnen ihrer Generation. Davon zeugen nicht zuletzt die zahlreichen Auszeichnungen, mit denen die 45-Jährige im Laufe ihrer Karriere bedacht wurde - darunter der Silberne Bär, der Deutsche Filmpreis und der Preis der deutschen Filmkritik. Auch in ihrem jüngsten Projekt, der Thriller-Serie "Das Netz: Spiel am Abgrund" (zu sehen in der ARD Mediathek und ab Donnerstag, 3. November, 20.15 Uhr, im Ersten), ist Minichmayrs Darbietung preisverdächtig: Als Anwältin Lea Brandstätter begibt sie sich nach dem rätselhaften Tod ihres Lebensgefährten auf die Suche nach der Wahrheit - und kommt dabei den korrupten Machenschaften des Weltfußballs gefährlich nahe.

teleschau: In der Thrillerserie "Das Netz: Spiel am Abgrund" spielen Sie eine Anwältin, die den Missständen des Fußballgeschäfts auf den Grund geht. Sind Sie selbst Fußballfan?

Birgit Minichmayr: Ich habe keinen Fernseher zu Hause. Aber selbst, wenn es so wäre, würde ich keinen Sport schauen. Ich kann mit Fußball gar nichts anfangen. Ehrlich gesagt bin ich immer ganz schlecht gelaunt, wenn irgendwo Fußball läuft. Lustigerweise ist mir das aber ausgerechnet bei meiner eigenen Hochzeit passiert.

teleschau: Wie kam es dazu?

Minichmayr: Mein Mann und ich haben wahnsinnig spontan geheiratet - während gerade Weltmeisterschaft oder Europameisterschaft war, das weiß ich nicht mehr so genau. Wir feierten draußen, und nebenan lief gerade das Halbfinale. Ich musste mich schwer zusammenreißen, weil einige Hochzeitsgäste sich dann vor allem auf das Spiel konzentrierten. Ich war ganz kurz schlecht gelaunt, habe aber schnell gemerkt: Die Stimmung war bombe, denn so musste wegen unserer Feier niemand auf das Spiel verzichten.

"Allein bei dem Gedanken daran haben mich meine Freunde ausgelacht"

teleschau: Nichtsdestotrotz mussten Sie sich für "Das Netz" erneut mit Fußball auseinandersetzen. Was hat Sie an dem Projekt gereizt?

Minichmayr: Mir hat die Idee gefallen, in einer Serie mitzuspielen. Ursprünglich war die Geschichte übrigens anders konzipiert: Ich sollte eine Frau spielen, die Fußballprofi war und dann Trainerin wurde. Allein bei dem Gedanken daran haben mich meine Freunde ausgelacht. Ich, eine Fußballerin? Ich kann mir viel antrainieren, aber mit meinen dünnen Beinchen, meinem nicht vorhandenen Interesse für Fußball und meinem absoluten Anti-Ballgefühl wäre das durchaus schwierig geworden. Ich dachte nur: "Okay ich brauche ein Double" (lacht).

teleschau: Letztendlich ist aus der Figur dann doch eine Strafverteidigerin statt einer Fußballtrainerin geworden.

Minichmayr: Das war schon eher machbar. Ich hatte aber so oder so total Lust auf die Rolle. Mir gefiel, dass meine Figur - die die ganze Zeit wie ein angeschossenes Tier durch die Serie läuft - eine komplette Reise in die Desillusionierung erlebt. Trotzdem basiert die ganze Geschichte auf Fakten und setzt sich kritisch mit Themen wie Korruption auseinander. Das ist eine gute Mischung.

"Ich lehne Social Media strikt ab"

teleschau: Wie entscheiden Sie, welche Rollenangebote Sie annehmen?

Minichmayr: Das hat manchmal etwas ganz Intuitives. Das kann mit dem Buch, dem Regisseur oder der Regisseurin, den Kolleginnen oder Kollegen zu tun haben. Manchmal habe ich auch Projekte abgelehnt, die dann im Nachhinein ganz toll geworden sind. Weil man sich manchmal etwas komplett anderes darunter vorstellt, ahnt man beim Lesen des Drehbuchs oft nicht, was für ein geiler Film am Ende dabei herauskommt. Bereut habe ich aber dennoch nichts. Das liegt auch nicht in meiner Natur.

teleschau: Zurück zu Ihrer neuen Serie, deren Handlung immerhin brandaktuell ist: Am 20. November startet die viel kritisierte Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Sollte man die WM Ihrer Ansicht nach boykottieren?

Minichmayr: Das ist ein schwieriges Thema. Auf jeden Fall halte ich wenig davon, als Nationalmannschaft mitzumachen und dann ein bisschen zu protestieren. Ich frage mich eher, wie es überhaupt so weit kommen konnte, dass die WM nach Katar vergeben wurde.

teleschau: Sind Sie der Meinung, dass Filme und Serie auch immer einen gesellschaftlich relevanten Bezug haben müssen?

Minichmayr: Müssen nicht, aber können und dürfen. Ein entscheidender Faktor dabei ist auch das Publikum. Auch, wenn Geschichten aktuelle Debatten aufgreifen, ist es immer noch die eigene Entscheidung der Zuschauerinnen und Zuschauer, was sie daraus mitnehmen.

teleschau: Trägt man als Künstlerin oder Künstler eine gewisse Verantwortung, Haltung zu zeigen und auf Missstände hinzuweisen?

Minichmayr: Man hat schon eine Vorbildfunktion. Wenn Cristiano Ronaldo auf einer Pressekonferenz eine Coca-Cola-Flasche gegen Wasser austauscht, stürzt deren Aktie ab. Das ist eigentlich total verrückt. Ich habe natürlich nicht die Reichweite Ronaldos, aber als Person des öffentlichen Lebens kann man seine Bekanntheit schon dafür nutzen, um auf wichtige Themen aufmerksam zu machen.

teleschau: Tun Sie das?

Minichmayr: Ja und nein. Ich habe schon eine klare Haltung in manchen Dingen. Aber ich bin nicht politisch aktiv in dem Sinne, dass ich in den sozialen Netzwerken auf bestimmte Geschehnisse aufmerksam mache. Das liegt allerdings auch einfach daran, dass ich nichts mit den sozialen Medien am Hut habe. Ich lehne Social Media strikt ab. Vielleicht ist ja auch das eine politische Entscheidung.

"Die Menschen werden zu wandelnden Werbeplakaten"

teleschau: Woher kommt diese Abneigung?

Minichmayr: Ich weiß nicht, was mir Social Media bringen soll. Vielleicht ist es sinnvoll, um auf bestimmte Themen hinzuweisen, aber für mich sind Seiten wie Facebook und Instagram schrecklich. Ich bin viel zu altmodisch dafür. In dieser Hinsicht bin ich konservativ - ich lehne das irgendwie instinktiv ab. Außerdem bin ich gespannt, was das auf lange Sicht mit uns macht. Ich glaube, es führt zu einer gewissen Verwahrlosung hierzulande. In anderen Ländern ist es aber natürlich sehr wohl ein wichtiges politisches Kommunikationsmittel.

teleschau: Inwiefern befürchten Sie eine Verwahrlosung?

Minichmayr: Naja: Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der Werbung als das Allerletzte galt. Marken zu tragen, war verpönt. Heute sieht man nichts anderes mehr als Marken. Es dreht sich alles nur um Konsum, Konsum, Konsum. Die Menschen werden zu wandelnden Werbeplakaten. Zudem wird der Optik ein wahnsinnig hoher Stellenwert zugeschrieben.

teleschau: Auch Sie werden häufig auf Ihr Äußeres reduziert. Stört Sie das?

Minichmayr: Ich lese wenig von dem, was über mich geschrieben wird, und habe mir im Laufe der Jahre eine gewisse Kaltschnäuzigkeit angewöhnt. Zudem würde ich behaupten, dass sich vieles seit der "MeToo"-Debatte geändert hat.

teleschau: Haben sich diese Veränderungen auch in puncto Gehalt bemerkbar gemacht?

Minichmayr: Leider nicht immer. Es passiert mir nach wie vor, dass ich weniger bekomme als meine männlichen Kollegen. Ich höre auch immer wieder von Schauspielerinnen, die länger an einem Theater engagiert sind als ihre Ehemänner - und die Männer verdienen trotzdem mehr. Sehr müßig, dass wir noch immer darüber reden müssen. Wenn wir es nicht schaffen, Frauen und Männer gleichzubehandeln, wird man das eben gesetzlich regeln müssen. Daher bin ich für eine Gehaltsoffenlegung in allen Bereichen und für einen Gesetzesschutz diesbezüglich.

"Ich glaube, man löst ein Problem nicht, indem man es wegsperrt"

teleschau: Sehen Sie sich als Feministin?

Minichmayr: Ich weiß nicht. Ich tue mich immer schwer mit diesem Begriff und bin mir nicht sicher, ob ich die Kriterien erfülle, aber ich möchte gerne eine sein. Es herrscht nach wie vor ein Ungleichgewicht und ich finde es ganz wichtig, dass sich gewisse Dinge ändern.

teleschau: Haben Sie trotzdem den Eindruck, dass sich die Arbeitsatmosphäre in der Schauspielbranche seit der "MeToo"-Debatte gebessert hat?

Minichmayr: Auf jeden Fall. Besonders, was Machtmissbrauch angeht, achten alle Beteiligten mehr auf den Umgang miteinander. Übertreiben sollte man es aber nicht. Meiner Ansicht nach kann Political Correctness manchmal zum Tod der Kunst führen.

teleschau: Wie meinen Sie das?

Minichmayr: Auseinandersetzungen müssen nicht im Keim erstickt werden, sondern tatsächlich stattfinden. Ich glaube, man löst ein Problem nicht, indem man es wegsperrt. Vielmehr brauchen wir einen komplexeren Umgang mit Dingen, die uns nicht passen. In Bezug auf Corona wurde das recht deutlich - "allesdichtmachen" wäre da so ein Beispiel ...

teleschau: Das Projekt, bei dem Schauspielerinnen und Schauspieler im Frühjahr 2021 die Corona-Politik aufs Korn nahmen.

Minichmayr: Das Ganze war natürlich Quatsch. Danach nicht mehr mit den Beteiligten zu sprechen oder ihnen keine Rollen mehr zu geben, ist doch ebenfalls Blödsinn! In solchen Fällen muss man doch miteinander in den Dialog treten. Ich frage mich eher, warum so viele Künstlerinnen und Künstler es für eine gute Idee gehalten haben, bei einer solchen Aktion mitzumachen. Ich konnte den Mehrwert darin einfach nicht sehen.

Von Franziska Wenzlick

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