Snowden
Filmbewertung: ausgezeichnet
Starttermin: 22.09.2016
Regisseur: Oliver Stone
Schauspieler: Joseph Gordon-Levitt, Shailene Woodley, Melissa Leo
Entstehungszeitraum: 2016
Land: USA/ D
Freigabealter: 6
Verleih: Universum Film (Walt Disney)
Laufzeit: 135 Min.
Kein Held
Den Ausgang der Geschichte kennt jeder, der sich nur ansatzweise mit Medien und Politik befasst: Whistleblower Edward Snowden veränderte mit seinem unfassbaren NSA-Datenleak die Welt; führte eine staatliche Überwachung in einem Ausmaß vor Augen, die man zuvor als wilde Verschwörungstheorie abgetan hätte. Dafür setzte der heute 33-Jährige, der seit drei Jahren im russischen Exil wohnt, nicht weniger als sein Leben aufs Spiel. Wie es im Detail dazu kam, wäre noch vor Kurzem als hochspannender Politthriller durchgegangen, über dessen konstruierten Spannungsbogen man milde gelächelt hätte. Doch der atemberaubende Plot ist so real, dass ihn kein anderer ins Kino bringen konnte als der große cineastische Betrachter der US-Geschichte: Mit einem fantastischen Joseph Gordon-Levitt in der Hauptrolle inszeniert Oliver Stone "Snowden" als mitreißend-intimes Polit-Biopic.

Bevor er von den einen als Verräter gehasst und von den anderen als Held verehrt wurde, hätte Edward Snowden ein übersichtliches Leben mit ruhigem Bürojob haben können. Wie man weiß, entschied er sich aus idealistischen Gründen anders. Seit den Tagen, in denen Snowden zwei Journalisten und der Dokumentarfilmerin Laura Poitras im Hotel Mira in Hongkong die streng geheimen Daten übermittelte, galt er als einer der meistgesuchten Männer der Welt.

Poitras hat die Zeit in jenem legendären Hotel bereits in ihrem gefeierten Dokumentarfilm "Citizenfour" verarbeitet. Doch was geschah, bevor sich der schüchtern wirkende Computerexperte auf der Flucht dort verschanzte? Der dreifache Oscargewinner Oliver Stone, der sich in seiner gesamten Regie-Karriere wichtigen Diskursen der US-Geschichte ("Geboren am 4. Juli") widmete und undurchsichtige historische Ereignisse wie in "JFK" und "Nixon" cineastisch entschlüsselte, klärt in seinem spannenden und intimen Werk "Snowden" darüber auf.

Gordon-Levitt brilliert in der Hauptrolle derart überragend, dass jede vorherige Skepsis über die Darstellerwahl verfliegt. In kurzer Zeit verschmilzt sein Spiel mit dem mittlerweile ikonischen Bild, das die Öffentlichkeit von Snowden zeichnet: die nerdige Art, die leicht unmodische Brille und Frisur, das verschmitzt-spöttische Lächeln und die konzentrierte Klarheit, die der stille Typ bei jedem Schritt seines ungeheuerlichen Vorhabens an den Tag legt.

Mit seiner Freundin Lindsay (Shailene Woodley) lebt der junge Snowden erst an der Ostküste, wo er als IT-Experte für ein Subunternehmen der NSA arbeitet. Später wird er nach Hawaii versetzt, nachdem er zuvor allerlei Patrioten-Tests absolvieren musste. Im Untergrund-Hauptquartier auf der Insel O'ahu stößt er schließlich in die vertraulichsten Top-Secret-Tiefen des Geheimdienstes vor. Je mehr Einblicke Snowden in die Spionage-Machenschaften der Regierung bekommt, desto mehr dämmert ihm, dass er handeln muss.

Von einem Tag auf den anderen verschwindet Edward Snowden ohne Wissen von Kollegen und Freundin Richtung Hongkong. Mit im Gepäck hat er Gigabytes an vertraulichen Dokumenten, die er den inzwischen nicht minder bekannten Journalisten Glenn Greenwald (Zachary Quinto) und Ewen MacAskill (Tom Wilkinson) per USB-Stick zur Veröffentlichung mitgibt. Währenddessen begeben sich CIA und Co. - im Film unter anderem in Gestalt von Nicolas Cage - auf die Jagd nach dem Whistleblower.

Stone inszeniert die knapp zehn Jahre zwischen 2004 und 2013 aus der Biografie einer der wichtigsten Persönlichkeiten des 21. Jahrhunderts als Geschichte eines Individuums, das die westlichen Freiheitswerte ernster nimmt, als dies die Regierung seines Heimatlandes tut. Eines Genies, für das es auch technisch realistisch schien, das Wagnis einzugehen, sich mit den allerhöchsten Kreisen anzulegen. Trotzdem: Stones Snowden ist Verfassungspatriot, dem die genuin amerikanischen Bürgerrechte wichtiger sind als seine eigene Unversehrtheit.

Für hiesiges Publikum wirkt es bisweilen, als habe der Regisseur die harschen Vorab-Kritiker in den USA besänftigen wollen, die ihn mit seinem Werk des Verrats durch Gemeinmachen bezichtigten. Tatsächlich musste Stone kämpfen: In den USA wollte kein Studio den schließlich vor allem in München gedrehten Film produzieren; der US-Starttermin verschob sich mehrfach. Empathie mit Snowden ist in den USA nur von allerliberalster Seite wohlgelitten - auch deshalb ging Stone mit seinem Werk auf Nummer sicher.

Ein Aufklärer ist der Filmemacher dennoch, fraglos steht er auf der Seite von Snowden und dessen Überzeugungstaten. Angenehmerweise erzählt das Politdrama aber auch keine Heldengeschichte. "Snowden" zeigt in dokumentarischer Intimität einen zweifelnden jungen Mann, der von seinem Gewissen lebenslang zerfleischt worden wäre, hätte er nicht so gehandelt. Davon zeugt das verschmitzte und überlegte Lächeln, das Gordon-Levitt am Ende im Asyl in Moskau auflegt, bevor er sich beinahe unmerklich in den echten Edward Snowden verwandelt.

Von Maximilian Haase

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