Feierabendbier
Filmbewertung: überzeugend
Starttermin: 25.10.2018
Regisseur: Ben Brummer
Schauspieler: Tilman Strauss, Julia Dietze, Christian Tramitz
Entstehungszeitraum: 2017
Land: D
Freigabealter: 12
Verleih: Monolith Film GmbH
Laufzeit: 113 Min.
Julia Dietze
"Puhhh, ist die freizügig!"
Fast schon euphorisch kommt die zierliche Blondine aus der Berlinale-Vorführung ihres neuen Films "Feierabendbier" (Kinostart: 25. Oktober): Julia Dietze (37) hat zusammen mit dem Team gerade eine halbe Stunde lang Publikumsfragen beantwortet. Der Film über einen Barkeeper, der sein gestohlenes Auto sucht und neuen Sinn in seinem Leben findet, kam gut an. Jetzt nimmt die in Marseille geborene und in München aufgewachsene Schauspielerin ausgesprochen fröhlich an einen klapprigen Metalltisch am Eingang des Kinosaals Platz. Die Zuschauer des nächsten Films wälzen sich vorbei, und es ist etwas zugig. Das stört Julia Dietze nicht im Geringsten. Sie redet einfach drauf los, fast ohne Punkt und Komma. Sie hat viel zu erzählen und dabei einiges zu sagen: über Frauenrollen, unterfinanzierte Filme, die Sinnsuche ihrer Generation, aber auch über Dinosaurier in "Iron Sky 2".

teleschau: "Feierabendbier" ist ein stark unterfinanzierter Film: Wie wirkte sich das auf die Arbeit aus?

Julia Dietze: Es fehlte der Platz für Allüren, was ich als sehr angenehm empfand. Wir hatten keine großen Trailer, sondern scharten uns alle zusammen in winzig kleinen Aufenthaltsräumen um die Öfen. Da wir im Winter drehten, war es eiskalt. So entstand eine wärmende Gemeinschaft, was die Dreharbeiten sehr familiär gestaltete. Außerdem hat jeder mit angepackt, wenn irgendwo Not am Mann war.

teleschau: Das schweißt zusammen, auch für die Arbeit vor der Kamera, oder?

Dietze: Regisseur Ben Brummer hat ein sehr gutes Gespür dafür, tiefe Atmosphären und authentische Figuren zu erschaffen. Er hatte sehr konkrete Vorstellungen, trotzdem hatte er immer ein offenes Ohr für neue Ideen. Wir haben ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufgebaut, welches, wie ich finde, im Film auch sichtbar wird. Das war sehr wichtig, zum Beispiel für die extreme Liebesszene: So etwas hatte ich in der Form noch nie vor der Kamera gespielt.

teleschau: Wie unterscheidet sich Ihre Rolle in "Feierabendbier" von anderen Frauenrollen?

Dietze: Als Schauspielerin lese ich natürlich viele Drehbücher, meistens sind die Frauenfiguren sehr eindimensional gestaltet. Obwohl Vivian in "Feierabendbier" ein bunt schillernder Freigeist ist, hat sie viele Tiefen und ist mit all ihren Selbstsabotageprogrammen sehr echt. In einer solchen komplexen Figur findet man sich als Frau besser wieder. Nach der Premiere auf der Berlinale kamen viele Frauen zu mir, und ich habe gesehen, dass sich meine Erfahrung auch im Publikum widergespiegelt hat, was für mich als Schauspielerin der beste Ansporn ist weiterzumachen. Und ich habe auch gesehen, dass dieses schöne Feedback auch unseren Regisseur Ben Brummer sehr berührt hat. Männer können durchaus komplexe Frauenfiguren schreiben.

teleschau: Zu sexy war Ihnen die Figur nicht?

Dietze: Ehrlich gesagt, dachte ich zunächst schon: "Wow, krass." Puhhh, sie ist ganz schön freizügig und legt eine gewisse Leichtfertigkeit im Umgang damit an den Tag. Aber dann dachte ich mir, Vivian ist eine Fernfahrerin auf der Überholspur, die die ganze Zeit Gas gibt und gar nicht merkt, wie einsam sie eigentlich ist.

teleschau: Die Überholspur scheint auch in Ihrem persönlichen Leben eine Rolle gespielt zu haben: Sie sind als Jugendliche von zu Hause ausgerissen, haben in Amsterdam gelebt ...

Dietze: Ich habe auf jeden Fall Dinge gesehen, die weit entfernt waren von dem beschützten Elternhaus. Aber ich glaube, diese Erlebnisse bereichern mich jetzt als Künstlerin und geben mir die nötige Tiefe und Empathie, um mich in meine Charaktere hineinzufinden. Dadurch habe ich auch viel gelernt und kann dankbar sein, wenn alles rund läuft. Ich weiß das alltägliche Glück mehr wertzuschätzen.

teleschau: In "Feierabendbier" suchen die Leute den Sinn im Leben, ohne ankommen zu wollen: Ist das typisch für die Generation?

Dietze: In gewisser Weise schon. Das hat jedoch schon in den 1990er-Jahren angefangen. Klar prasseln heute Instagram, Facebook, Youtube und Co. auf uns ein. Aber vor den Millennials frönte auch schon die Generation X dem Außenkonsum. Wir sind schon lange nur noch dabei, zu reagieren. Wenn man aber etwas erschaffen möchte, etwas kreieren, dann ist es klug innezuhalten.

teleschau: Die Stille genießen ...

Dietze: Ja, genau. Es gibt kaum noch jemanden in unserer Generation, der die Langeweile noch wertschätzt. Sobald man sich langweilt, holt man das Handy raus. Dabei ist Langeweile bedeutsam für die Kreativität. Ich finde es wichtig, einfach mal ins Leere gucken zu können. Das schlägt sich auch darin nieder, dass man nicht mehr ankommen kann. Beruflich, aber auch in Liebesbeziehungen.

teleschau: Benutzen Sie Tinder und Co.?

Dietze: Ich persönlich war noch nie auf einem Datingportal, weil ich es absolut unromantisch finde. Ich habe das aber im Freundeskreis beobachtet. Am Ende bleibt die Erkenntnis: Wir kommen einfach sehr viel später an im Leben, erst mit Ende 30, Anfang 40. Die Leute sind länger mit der Suche beschäftigt, hoffen immer darauf, dass sich noch etwas Besseres findet.

teleschau: Eine Suche, die von außen betrachtet wahnhaft scheint: Bedeutet dieses Nicht-Ankommen-Können, dass wir verlernt haben, glücklich sein zu können?

Dietze: Mir fällt auf, dass die Selbstfindung sehr wichtig geworden ist. Man selbst ist seine oberste Priorität. Was zählt, ist nur die Außenwahrnehmung, unsere Generation vergleicht sich immer mit den anderen. Anstatt den eigenen Weg zu gehen, auch auf die Gefahr hin, nicht zu gefallen. Größe und Individualismus schaffen Neider. Doch in jedem Neid steckt auch der Funke der Bewunderung.

teleschau: Wie halten Sie es denn so mit dem Glück?

Dietze: Ich war vor Kurzem erst die glücklichste Frau der Welt, weil ich riesiges Glück im Unglück und meine Hand noch hatte.

teleschau: Wie bitte?

Dietze: Ich hatte mir im Garagentor einer Freundin die Hand böse eingeklemmt und hätte sie fast verloren. Den ganzen Nachmittag saß ich da und versuchte jeden meiner Finger zu bewegen und freute mich einfach nur, dass noch alles funktionierte. Das Glück war der Moment. Das ist wichtig. Als ich durch Israel reiste, bemerkte ich, dass sich die Menschen über Blumen am Wegrand wahnsinnig freuen können, weil sie dort viel mehr mit der Vergänglichkeit konfrontiert sind. Wenn man sich bewusst wird, wie reich wir im Leben beschenkt sind, dann sollte es auch wieder einfacher werden, glücklich zu sein und nicht ständig in der Zukunft oder in der Vergangenheit zu leben.

teleschau: Apropos Zukunft und Vergangenheit: "Iron Sky 2" soll im Januar 2019 endlich Premiere feiern ...

Dietze: Ich kann es selbst kaum erwarten. Abgedreht haben wir den Film schon 2016. Aber wegen der vielen Spezialeffekte hat sich die Veröffentlichung verschoben.

teleschau: Was haben die Mondnazis denn diesmal ausgeheckt?

Dietze: Ich kann auf jeden Fall verraten, dass Dinosaurier im Film vorkommen und dass meine Figur zwischen 24 und 85 Jahren alt sein wird. Das fand ich von Timo (Vuorensola, Regisseur, d. Red.) sehr schön: Er hätte ja auch einfach eine alte Frau besetzen können, die mir ähnlich sieht. So aber habe ich drei Monate lang ältere Damen hier in Berlin beobachtet und mich in Seniorenheimen aufgehalten, um eine authentische Körpersprache hinzubekommen.

teleschau: Der erste Teil wurde ziemlich positiv aufgenommen: Hat Sie das überrascht?

Dietze: Ich habe mich sehr darüber gefreut. Wenn ich sagen würde, dass ich überrascht gewesen wäre, hätte ich ihn ja nicht gut gefunden ... Es ist ein schwieriges Thema, und ich hatte ganz am Anfang Bedenken, weil ich einen großen jüdischen Freundeskreis habe.

teleschau: Hat sich für Sie danach etwas verändert?

Dietze: Es haben sich Türen geöffnet. Auch meine jüdischen Freunde sahen im Film die Satire und hatten keine Bedenken. Egal wo wir den Film gezeigt haben, er kam auf der ganzen Welt gut an. Der zweite Teil wird noch bombastischer: Er basiert auf der größten Verschwörungstheorie der Welt.

Von Andreas Fischer

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